AKTUELLES
(gießen, den 19. September 2020) Nach einer langen Atempause wird zwar keine Geschichte gemacht, aber es geht voran. In kleinen Schritten. Der Tätigkeitsbericht: Rückkehr in den Beruf Mitte August mit einer Lesung. Dann auf einem kleinen Kunstmarkt eine halbe Stunde lang Gerhard "Gundi" Gundermann gesungen und rezitiert. Anfang dieser Woche gegen kleines Geld im Auftrag der Stadt Gießen ein paar selbstverfasste Lieder eingesungen. So 45 Minuten. Wird im Oktober ins Netz gestellt. Und gestern (50ter Todestag des alle überragenden Jimi Hendrix) bei der Vernissage eines wunderbaren Fotographen, der vor Jahren die Stones auf Tour ablichten durfte, mit dem fabelhaften Kollegen Jörg "JJ" Fischer zwölf Songs der Glimmertwins von der Ladefläche eines Lkw’s runtergesungen. Extrem großer Spaß für alle Beteiligten. Nächsten Sonntag werde ich auf Einladung im besetzten Dannenröder Forst ein bisserl "Ton Steine Scherben" und andere Kampflieder singen. Back to the Roots quasi. Dann noch ein wenig bezahlte Straßenmusik im Auftrag der Stadt und am 3. Oktober in der Gießener Pankratiuskapelle Premiere meines Gundermann – Soloabends: „vieles bleibt so wie es nie werden sollte“. Mit Liedern und Worten nachdenken über die Einheit nach 30 Jahren. Man mag nicht jammern.
(update vom 21. september 2020) Alle Fotos die auf dieser Seite in Sachen "Stones in Niederwalgern" irgendwo aufploppen, stammen aus der aufmerksamen Kamera des wunderbaren Clemens Mitscher. Dafür Dank.
(update vom 1. oktober 2020) Zum Ausflug in den Dannenröder Forst hat Götz Eisenberg einen guten Artikel geschrieben. Man wird die jungen Mutigen wegräumen. Schlimm genug. Ich brauche diese Autobahn aber nicht.
(gießen, den 22. Juni 2020) So hat nun der Meister sich nachträglich des Nobelpreises würdig erwiesen und am letzten Freitag – am selben Tag landete die mir zugedachte Kulturhilfe auf dem Konto – ein sehr anregendes, klingendes Poem veröffentlicht und zum Kauf feilgeboten. Viel gibt es zu lesen in dieser Sache – Rezensionen, Kommentare, Glückwunschtelegramme, die mich als Zimmermanns Stellvertreter in Mittelhessen erreichen – und diesmal die vielen, vielen Worte Dylans auf der Scheibe (zwei Scheiben sind es eigentlich!), diese Worte, Zitate, Querverweise, welche Türen öffnen zu neuen Denkgängen, Korridoren, Verästelungen besingen, stets einiges an Lebenszeit einfordernd und – wie angenehm – dies suchend, tastend, und wenn plötzlich wissend, gerne dazu bereit die neu festgenagelte Erkenntnis an der nächsten Ecke in die übernächste Mülltonne zu pfeffern. Kann ja noch was am Straßenrand rumstehen, was Deine Sicherheiten schwanken lässt! Es mäandert wundervoll vor sich hin, das mal wütige, meist entspannte Rezital eines friedlich alternden Mannes. Alte Wunden, gewonnene und verlorene Scharmützel, Sackgassen, erlittene und etliche zugefügte Miesigkeiten, das Wissen um die Fehlkonstruktion Homo sapiens klingen mit, ausreichend, aber nicht aufdringlich. Ein große Freude ist’s dem zuzuhören in unserer Besserwisserwelt. Apropos WELT. Da – früher hätte ich noch geschrieben ausgerechnet da – lese ich die Besprechung, welche mir am meisten zusagt. Und selbstredend diese hier. Besser geht es nicht.
PS: Die Mäuse der Kulturhilfe sind da. Daraus erwächst – wie in unserem Hinterhofgarten – ein neuer, echter Gundermann. Soloprogramm wird es werden, weil am Musentempel hier vor Ort mag ich nimmer singen oder den Kulturboden schrubben. Lieber draußen auf der Gass‘. Bleiben wir also weiterhin gelassen. Ich versuche es.
(gießen, den 25. mai 2020) Ohne irgendjemandem nahetreten zu wollen: wenn dies die „größte Katastrophe“ ist, welche das doitsche Land seit dem zweiten Weltkrieg nun zu durchleben hat, dann gehe ich davon aus, daß über neunzig Prozent der Restwelt – und die ist mehr als ein dieser Tage schwer erreichbares Reiseziel – sich eine solche Katastrophe sehnlichst herbeiwünscht. Aber man hat sich hier angewöhnt den Superlativ zum Normalzustand aufzublasen. Finde ich eher anstrengend. Machen wir es kleiner, das Ganze. Die Lage ist gewiß für etliche keine einfache, aber nichts ist selbstverständlich, schon gar nicht fünfundsiebzig Jahre Frieden und Reichtum. (Und dies oft auf Kosten anderer!) Das ist wohl der Systemfehler in den Hirnen. Mein leises Optimisteln der ersten Wochen des maßvollen Einschränkens in Sachen Runterfahren, Nachsinnen und Verzicht, es ist längst einem zweckdienlich realistischen Blick gewichen auf die ewige Unersättlichkeit. Schade! Wie das Theater und die Künste das alles überleben werden – was ganz gewiß geschehen wird – man wird es sehen. Inwieweit ich da noch dabei sein werde, auch dies wird man sehen. Ab dem zweiten Juni – da war doch schon mal was – stellt das Land Hessen im Rahmen eines Hilfspakets bei der KSK versicherten Künstlern auf Antrag einmalig € 2000.- zur Verfügung. Voraussetzung ist das Einreichen einer Idee für ein „Projekt“ oder die Beschreibung desjenigen "P‘s" (ich mochte die Bezeichnung nie), an dem man eben so arbeitet, zu Hause. Das ist doch schon mal was. Und da soll auch nicht gemurrt werden. Und ich wiederhole mich: das Publikum und das leibhaftige Tun und Erleben auf der Bühne oder im Probenraum fehlen mehr als die Kohle. Heimbüro iss nicht. Wir bleiben analog. Zurück zur „Katastrophe“. Es ist erst vorbei, wenn und falls es vorbei ist. Ich hoffe dies geht auch ohne einen nächsten großen Angstauslöser in die nicht gänzlich von Vernunft befreiten Wohlstandshirne. Bleiben wir naiv, Enttäuschungen warten eh an jeder Ecke und danach sieht man wieder etwas klarer. Propheten braucht’s dafür nicht. Las gestern folgendes Gedicht von Mascha Kaleko. Glück auf und Frieden allen, die hier vorbeischauen.
Chinesische Legende
Hoch auf dem Felsen, abgeschieden
Lebten der Alte und sein Sohn
In stiller Eintracht, wohlzufrieden.
… Da lief den beiden das Pferd davon.
Der Nachbar, nach geraumer Frist,
Kam, den Verlust mitzubeklagen.
Da hörte er den Alten fragen:
„Wer weiß, ob dies ein Unglück ist?“
Und bald darauf, im nahen Walde
Vernahmen sie des Pferdes Tritt:
Das kam und brachte von der Halde
Ein Rudel wilder Rosse mit.
Der Nachbar, schon nach kurzer Frist,
Pries den Gewinn nach Menschenweise.
Da lächelte der Alte leise:
„Wer weiß, ob dies ein Glücksfall ist?“
Nun ritt der Sohn die neuen Pferde.
Sie flogen über Stock und Stein,
Ihr Huf berührte kaum die Erde …
Da stürzte er und brach ein Bein.
Der Nachbar, nach geraumer Frist,
Kam, um das Leid mit ihm zu tragen.
Da hörte er den Alten fragen:
„Wer weiß, ob dies ein Unglück ist?“
Bald dröhnt die Trommel durch die Gassen:
Es ist die Kriegsproklamation.
Ein jeder muß sein Land verlassen.
- Doch nicht des Alten lahmer Sohn.
(gießen, den 28. april 2020) War's das? Nach vierzig Jahren Bühnenarbeit in verschiedenen Funktionen zwangsverrentet durch einen Virus? Wollen wir es nicht hoffen! Jedoch gehe ich davon aus, daß ich mich eher auf der Rückseite des Berges befinde. Groß Gipfelphantasien habe ich keine mehr, hatte die außerdem eh noch nie. Die Sache war's, die mir wichtig. Und die Leut'. Jetzt geht es um das pure finanzielle Überleben. Verhungert wird nicht, aber Genosse Schmalhans wird wohl auf den letzten Kilometern der Laufbahn treuer Begleiter bleiben. Ein Nebensatz zur sogenannten und stolz angekündigten Soforthilfe für die „notleidenden Künschtler“: lieb gemeint, aber leider fallen wir Bühnenmenschen bei den Vergabekriterien durch das Sieb. Da Erhalt und Verköstigung unserer Hirne und Körper nicht unter Betriebskosten fallen – so die Verantwortlichen – gehen wir leer aus als sogenannte Soloselbstständige. War nicht anders zu erwarten. Warum sollen plötzlich Menschen davon Ahnung haben, was der Alltag und die ständige Not unseres Gewerbes sind, die selbige Ahnung davor auch nicht hatten, wenn es sie denn überhaupt interessiert hat. (Wenn ich so von meinem durchschnittlichen Stundenlohn erzähle, sehe ich nur heruntergeklappte Kinnladen und dann ist ganz schnell Themenwechsel.) Also: man kann von Glück sagen, wenn man vom Stadttheater als „Freier“ die ein oder andere ausgefallene Vorstellung oder gar Proben (?) bezahlt bekommt. Viel war es bis jetzt auch nicht, aber da soll noch was kommen. Angeblich. Die anderen und privaten Veranstalter ohne große Subventionen müssen froh sein, wenn sie überleben. Da ist nichts zu erwarten. Ansonsten kann ich nur mit Shlomo Herzl täglich vor mich hin und her sagen: „Warten ist die wahre Zeit!“ Wenn Du was lernst am Theater, dann eben das Warten, aber nicht das in unserer Gesellschaft weitverbreitete laute Einfordern seiner Ansprüche. Da sind wir zu leise. Meist Einzelkämpfer. Oder nur Abnicker. Zeit das Glauben zu lernen jedoch bleibt immer und überall. Auch an Überraschungen. Heute hat es endlich angefangen zu regnen.
(gießen, den 16. märz 2020) Seit dem 6. März hatte ich mich an einen stillen Ort zurückgezogen. Kein Handy, keine E - Mails, kein Radio, kein TV, keine Zeitungen und gesprochen wurde nur das Notwendige. Heute kehre ich in die Welt zurück, die mit der vor zehn Tagen verlassenen wenig zu tun hat. Das was die Vernunft schon lange hätte in die Wege leiten müssen, den Verzicht zu üben, diese Aufgabe übernimmt nun die Furcht. Perverse Pointe oder vielleicht ist die Natur schlauer als die "Krone" (sic) der Schöpfung? Jedenfalls ist dies das erste wirksame Klimapaket seit der Veröffentlichung des Club of Rome im Jahre 1972. Bühne und so auch Geldbeutel bleiben zwar demnächst leer, als selbstständig Schaffender, aber vielleicht üben wir uns solange mal in Solidarität. Glück auf.
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(update vom 27. märz 2020) Der Meister meldet sich zu Wort. Keinen Trost will er spenden, der alte Priester.