AKTUELLES

(konstanz, den 11. juli 2012) Ich hatte mir im letzten Eintrag mehr Rock`n`Roll im Theater gewünscht. Letzten Montag war der Freiburger Loriotabend zu Gast beim dortigen ZMF. Spiegelzelt, 45 Grad Celsius auf der Bühne, aus dem Hauptzelt schwappte Bassgewummer rüber, 500 von der Hitze gepeinigte Zuschauer, die meist dann ins Leben zurückkehrten, wenn es eher grobschlächtiger wurde auf der Bühne, darüber fluchende Schauspieler und die Worte des Herrn von Bülow über Mikroport verstärkt. Eigentlich ein Unding. Alle Beteiligten schwitzten sich hirnlos, aber es gefiel. Mir auch. Bisserl Kontrollverlust und das Ding rausgehauen. Geht nicht immer, aber war schön. Danach Wein trinken mit dem wunderbaren Heinz Meier, über den Bundestrainer aus Freiburg lästern und Verlängerung im Litfass. Erfreulichst. Seit heute in der Früh: Probenbeginn in Konstanz. Theaterwohnung mit Blick auf den Münsterturm. Fein. Der Sound dazu.

(gießen, den 24. juni 2012) Gestern: Lou Reed in Mainz. Laut, kompromisslos, Velvet Underground, Lulu ohne Metallica und ein hüpfendes "Walk on The Wild Side". Das erfreulichste: das Publikum. Da kriechen sie aus ihren Löcher, die wunderbaren Lemuren. Gesichter, die gelebt, erlebt, verlebt. Ich fühlte mich weniger allein als in den mentalen Fußgängerzonen unserer Public - Viewing - Republik. Ich saß oder stand, trank viel Bier und fragte mich, warum diese Menschen uns nicht im Theater besuchen. Vielleicht, weil unsere Geschichten kaum noch die Herzen berühren und Theaterleute oft ein Haufen verzagter,  selbstverliebter und fauler Bettelbürger sind? Hoffnung bleibt.

(gießen, den 7. juni 2012) Nach Freiburg ein paar dienstliche Tage in Konstanz. Seitdem im wesentlichen im Cafe gesessen, Zeitung gelesen, Paare, Passanten vorüber gehen sehen. Meine Gießener "Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten." Aus Freiburg nur Gutes. Zwei Tage nach dem Erscheinen der Kritik waren alle Vorstellungen restlos ausverkauft. Auch die Zusatzvorstellungen. Füllt nicht meinen Geldbeutel, aber das Freudenkonto. Anfang Juli dann die Rückkehr in die Geburtsstadt, erstmalig als Regisseur. Thema des Abends: eine Familie und ihr Versuch Weihnachten zu feiern. Probenbeginn: der Geburtstag meines verstorbenen Vaters. Dinge geschehen.

(gießen, den 20. mai 2012) Ich habe es nicht miterlebt, man hat mir lediglich davon berichtet. Nach dem lang anhaltenden Premierenapplaus sagte der wunderbare Heinz Meier: "Dies war wohl meine letzte Premiere!" Dann kamen ihm die Tränen. Ein ergreifender Moment, der mich stolz machte, ebenso wie die lobenden Worte, die mir dieser große, alte Mann geschenkt hat. Und als ich - recht früh und sehr erschöpft - die Premierenfeier verließ, da saßen alle Schauspieler mit der Technik an einem Tisch und ließen sich von der besten aller Assistentinnen zeigen, wie man Schnipp - Schnapp spielt. Da lachte das Herz des Regisseurs, da die Bemerkung, die ich in einer äußerst kritischen Probenphase machte, man möge diese Produktion bitte im Stile des BVB beackern und nicht als eine Ansammlung von Ich-AGs ala Vizebayern, offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen war. Sogar der Kritiker mag nicht auf einen Seitenhieb Richtung Säbener Strasse verzichten! Was mich außerdem erfreut: die Presse bemerkte die von mir intendierte Verbindung von Loriot und Beckett. Aus Erwin wird Estragon!

(freiburg, den 3. mai 2012) "Lindemann, Lottemann, Lottogewinn, DM 500.00.-, 66 Jahre, Papstaudienz, Rom, Island, Wuppertal, Herrenboutique!" Kollektives Gedächtnis. Wann war das? Rund um mein Abitur damals. Davor oder danach und noch Schwarz - Weiß, obwohl bunt gedreht, aber im Fernsehen. Jetzt sitze ich in einem schäbigen Probenraum in Freiburg, vor mir der grantelnd gut gelaunte 82jährige Heinz Meier und wir proben den "Lottogewinner". Das ist ein großer Theatermoment für mich. Viel Zeit ist nicht, aber die Zeit, die ist, nutzen wir. Schön, daß der SC Freiburg nicht absteigt und der Papst bald mit meiner Tochter in Wuppertal eine Herrenboutique eröffnen wird.