KRITIKEN

WER KOCHT, SCHIEßT NICHT!

"Zwei Tage vor Weihnachten war die Premiere der Satire „Wer kocht, schießt!“ vom Theater Die Komödianten eine clever terminierte Punktlandung. Denn wann wird wohl mehr übers Essen diskutiert als zum Fest der Liebe. (…) Das wortstarke Einpersonenstück aus der spitzen Feder von Michael Herl (…) führt diesen kulinarischen Clinch freilich in eine ganz allgemeine, ziemlich saftige Auseinandersetzung zum Thema Kochen.

Dr. Kögel ist nicht gerade auf der Überholspur des Lebens unterwegs. Der ehemalige Molekularbiologe ist Sohn einer Gastwirtsfamilie, aber die ging pleite. Jetzt wird dort Fast Food verhökert. Und nun zwingt das Arbeitsamt Kögel auch noch, die Produkte des „Convenience Food“ – Produzenten „schnell & lecker“ – gewissermaßen „wissenschaftlich“ unterfüttert – anzupreisen. Allerdings wird daraus ein Ein – Mann – Feldzug gegen Fertig – und Schnellgerichte aller Art. (…) Dabei wird zuweilen ziemlich scharf geschossen. Mit Worten oder frischen Lauch. Die bitterbösen Ansichten zum Thema schnelle Nahrungsaufnahme und unbedingte Kommerzialisierung der Instantprodukte allerdings übernimmt Kögels Chef, ein „schnell & lecker“ – Vertreter, der mit roter Donald – Trump – Mütze („Make Food Fast Again“) gegen alles wettert, was naturbelassene Zutaten, gewissenhafte Zubereitung und Tradition angeht. So erklärt er etwa, daß die Erde, in der frisches Gemüse gedeiht, ja im Wesentlichen aus Überresten von Leichen bestehe.

Kögel indes wütet über die Zugabenliste einer Tütensuppe mit all ihren Künstlichkeiten. Wie immer mal wieder in dieser Inszenierung zeigt dabei ein großformatiges Video im Hintergrund, wie zwei Hände ein exzellentes Mahl zubereiten (übrigens die von Jochen Strehler vom Gildepark).

Unter Lugerths Leitung liefert Ivan Dentler als Kögel und als Vertreter einen wahren Parforceritt. Hier der zynische Verkaufsmensch, dort der kulinarische Schöngeist. Dentler trifft stets den richtigen Ton, erschafft tatsächlich zwei Theaterfiguren. Er verlässt nie die satirische Ebene, überhitzt sie aber auch nicht. Die Doppelrolle sowie der Film sind Ideen von Regisseur Christian Lugerth, der dem Original damit eine sinnstiftende und sehr unterhaltsame neue Note verleiht. (Der Wahrheit die Ehre. Die Doppelrolle steht so im Stück. Wir haben das nur verschärft!) Das Publikum war hingerissen!"

(Thomas Richter / Kieler Nachrichten)

 

Schöner Leserbrief in der Frankfurter Rundschau. (Schleswig - Holstein goes Hessen quasi!)

"Hallo Ihr Lieben! So gefiel mir der Silvesterabend. In Kiel im Theater "Die Komödianten" mit einem Stück von Michael Herl, dessen Kolumnen ich immer in der FR so gerne lese: "Wer kocht, schießt nicht!" Die Satire von Michael Herl legt den Finger schön in die Wunden der Ewig - Eiligen, die sich lieber von Tütensuppen ernähren, statt mal vernünftig zu kochen.Toll!"

(Gabriele Schreib / Strande)

EISCREME

„Mütter und Töchter sind manchmal wie Feuer und Wasser - wenn es hart auf hart kommt, lieben sie einander aber doch. In seiner Komödie „Eiscreme“ begleitet Miro Garvan eine Mutter und ihre Tochter über einen Zeitraum von 57 Jahren. Im Kieler Theater Die Komödianten feierte das Stück umjubelte Premiere.

 

Ein Bild von der Rialto-Brücke in Venedig verbreitet einen Hauch italienischen Flairs, eine riesige Eistüte als Wandschmuck, ein paar zierliche Tische nebst passendem Gestühl tun das Übrige: Die Bühne im Theater Die Komödianten hat sich in eine Eisdiele verwandelt (Bühne: Bruno Giurini / Haiko Schöttke). Hier gehen sie hin, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gilt: Mutter und Tochter, die namenlos bleiben in Miro Gavrans Zwei-Personen-Stück „Eiscreme“, das als Komödie gehandelt wird und eigentlich viel mehr ist als das.

 

Denn in den Gesprächen der beiden bei Eiscreme und später - je nach Aufregungsgrad – bei Kaffee oder Grappa geht es immer ans Eingemachte. Regisseur Christian Lugerth hat die psychologischen Tiefen des Stückes mit seinen Schauspielerinnen einfühlsam ausgelotet. In acht Szenen, die einen Zeitraum von 57 Jahren umfassen, sehen wir zu, wie die beiden Protagonistinnen die großen und kleinen Katastrophen des Lebens meistern.

 

Ein beinahe klassisches Mutter-Tochter-Verhältnis wird hier vorgeführt. Gezeigt werden zwei Menschen, die so gegensätzlich scheinen wie Feuer und Wasser und die, wenn es hart auf hart kommt, doch nicht ohne einander können. Der Autor hat die Szenenfolge so aufgebaut, dass das Leben der Tochter das ihrer Mutter auf seltsame Weise spiegelt. Während die Mutter früh von ihrem Mann verlassen wird, ist die Tochter diejenige, der es nichts ausmacht, dass ihr Geliebter seine Familie für sie im Stich lässt.

 

Mit versteinerter Miene erträgt die Mama die sorglosen Ausführungen der Tochter, die so gar nichts aus der Familiengeschichte gelernt zu haben scheint. Rafaela Schwarzer agiert höchst lebensnah – nicht nur als gestresste Mutter der Dreijährigen. Selbstbewusst zeigt sie sich als erfolgreiche Juristin mitten im Leben, als über 70-Jährige schwer auf den Gehstock gestützt, ist sie diejenige, die von der Tochter „bemuttert“ wird.

 

Von der quengelnden Kleinen, die nicht in den Kindergarten will, zur verbitterten Perlenkettenträgerin macht auch Marie Dollenberg überzeugende Wandlungen durch. Als fleischgewordene Antihaltung gibt sie den biestigen Teenager. Das Schicksal macht sie zur frustrierten, spießigen Gattin eines notorischen Schürzenjägers. Ihre Angst, verlassen zu werden, weist auf ein kindliches Trauma hin. Das ist nicht lustig wie vieles, was bei den Treffen der Frauen auf den Tisch kommt. Und doch gelingt immer wieder der Wechsel ins Leichte. Ein anderer Mantel, eine andere Frisur - mehr braucht es nicht für die offenen Verwandlungen zwischen den Szenen, die den Spielcharakter betonen. Verdienter Applaus für einen gelungenen Theaterabend.“

 

(Kieler Nachrichten / Sabine Tholund)

vieles bleibt so wie es nie werden sollte

"Von der DDR ist 30 Jahre nach ihrem Ableben gerade wieder ordentlich die Rede. Und so passte das Solo von Musiker und Theatermacher Christian Lugerth über den ostdeutschen Liedermacher Gerhard Gundermann hervorragend in die Pankratiuskapelle. „Vieles bleibt so, wie es nie werden sollte“, lautete der Untertitel des Programms, ein Zitat des ebenso wortstarken Poeten und Baggerfahrers aus dem Osten. Lugerths sehr musikalischer Abend erwies sich dabei als ebenso unterhaltsam wie nachdenklich und ging im Nu vorbei.

Gundermann (1955 – 1998), Baggerfahrer im Kohletagebau, galt etwa ab den Achtzigern als Sprachrohr der Menschen im Bergbaugebiet der Lausitz und ist in einem Atemzug mit Udo Lindenberg zu nennen. „In den Kirchen der DDR hat alles angefangen“, sagte Christian Lugerth. Der Gießener stolperte irgendwann über die Figur Gundermann, las seine Biographie und hörte seine Musik. Zum Tag der Deutschen Einheit fragte er provokant, „Warum feiern wir diesen Tag und nicht den 9. November, den Tag der Maueröffnung und der sogenannten Reichskristallnacht 1939? Da könnte man beide Seiten der deutschen Seele zeigen.“ Das will offenbar niemand, es ist ja auch ein bißchen weit hergeholt, aber die Besucher in der Kapelle murren jedenfalls nicht.

Gerhard Gundermann, ein gradliniger und überzeugter, aber nicht systemkonformer DDR – Bürger, thematisierte nach der deutschen Vereinigung politische und soziale Themen im Osten. Davon nahm man hierzulande jedoch kaum Notiz. „Gundermann beschrieb den Tod seines eigenen Landes,“ sagt der in Konstanz geborene Lugerth, der Verwandtschaft in Thüringen hat.

Man lernt Gundermann, wenn auch etwas fragmentarisch, ganz gut kennen an diesem Abend in der Pankratiuskapelle. „Niemand hat das Recht, Schuld nach oben abzuschieben“, sagte er einmal und in den Liedtexten wird eine lebendige, anteilnehmende Auseinandersetzung mit seinem Land deutlich. Dabei erweist sich der „Baggerfahrer und Liedermacher“, der auch als er von seiner Musik schon leben konnte, nie mit der Industriearbeit aufhörte, als poetischer, sehr präziser Texter und auch Dichter von hoher Güte. Einmal heißt es über „Die Verantwortlichen“ für die Misere der DDR bitter: „Sie sollen ihre Schuld abarbeiten, unten in der Scheiße und zum gleichen Lohn.“

Der Abend wird zu großen Teilen von der Musik eingenommen, was den Kontakt mit Gundermann verblüffend einfach macht, denn der Lausitzer formulierte in unbeirrbar scharfzüngiger Sprache und verblüffender Pointierung. („Die Zukunft ist eine abgeschossene Kugel“)

Eindrucksvoll ist auch die gedankliche Tiefe der Texte und des Nachdenkens dieses Baggerfahrers, der sich im dichterischen Metier mit den Größen seiner Zeit ohne Weiteres messen konnte. Der Zustand und die denkwürdigen Umstände der Wiedervereinigung – etwa keine gemeinsame Hymne, keine gemeinsame Verfassung – beschäftigten ihn („Wenn Himmel (Heimat war gemeint. Gruß vom Säzzer) wegbricht“), er schrieb Titel wie „Heimatanalyse“ oder Gedanken zur eigenen Befindlichkeit. „Im Herzen Asche, in den Adern Alkohol“ („Brigitta“). Nach seinem letzten Konzert 1998 erlitt mit 43 Jahren einen Hirnschlag.

Wahrhaft berührend ist sein Song an die Erde: „Halte durch“: Darin heißt es „Bist doch ein erfahrener Planet, wir machen Dich zur Sau“, „Flora ist schon fast k.o., Fauna stirbt in irgendeinem Zoo“. Schon 1988 verfasste Gundermann diesen hellsichtigen Text.

Ein anderes Sprachbild entsteht mit dem „Bus ins Paradies“, einem Text zur Wiedervereinigung: „Wir haben so lange gewartet auf den Bus ins Paradies“. Aber die Insassen wollen sie nicht mitnehmen, obwohl noch Platz ist, nur ein paar schaffen es rein. „In dem Moment geht der Bus kaputt“ und der Fahrer sagt: „Streitet euch nicht, der Bus ins Paradies fällt aus“ (Text: „Liedgefährten“)

Christian Lugerth legt in seinem Spiel eine gewisse dylaneske Intensität an den Tag, wenn er die eingängigen Akkorde Gundermanns wiedergibt. Sein Gesang, klar und sauber, gibt auch von der klugen Stimmführung her den Duktus des Lausitzers gut wieder. So wird der Liedermacher durch seine Lieder lebendig, die man ganz authentisch zu hören bekommt. Die eingeblendeten, teils sehr kritischen dokumentarischen Texte unterstreichen die Kontraste rund um die innerdeutsche Problematik, und man kommt irgendwie zu der Frage, wie dieser Teil des Volkes wie ungebetene Gäste behandelt werden konnte.

Die Zuschauer sind sofort ganz dabei an diesem kritischen und inspirierenden Abend und spenden zum Schluß heftigen, anhaltenden Beifall, Lugerth spielt eine Zugabe." (Heiner Schultz / Gießener Anzeiger)

 

Das Programm wird bei zwei Zusatzterminen am 16. Oktober und 6. November jeweils um 19.30 Uhr wiederholt. Anmeldungen per Mail unter christian@lugerth.de

TANKSTELLE FÜR VERLIERER

„Ein Phänomen: Auch 30 Jahre nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs war jeder fünfte Westdeutsche noch nie in einem der fünf hinzugekommenen Bundesländer. Allein angesichts der sich in dieser Zahl ausdrückenden Ignoranz scheint es noch immer dringend geboten, „den Westen an den Osten zu erinnern“. Diesen im Untertitel formulierten Versuch unternimmt nun der Gießener Theatermacher Christian Lugerth in seinem Stück „Gundermann“. Bei der Uraufführung am Donnerstagabend auf der taT-Studiobühne war eine atmosphärisch dichte, musikalisch-poetische Annäherung an den „Bob Dylan des Ostens“ zu erleben, in der sich zugleich gleich zwei untergegangene Welten vor dem Publikum auftaten.

Gundermann, das war ein bis heute im Osten der Republik innig verehrter, im Westen weitgehend unbekannt gebliebener Liedermacher, der eine ganz besondere, aber leider auch allzu kurze Karriere machte. Der „singende Baggerfahrer“, ein Kind der Lausitz, setzte sich in seinen ungemein bildstarken Liedern immer wieder mit seiner Heimat und der Arbeit im Tagebau auseinander. Und er verkörperte auf besondere Weise die Widersprüche, die das Leben in der DDR ausmachten – zwischen Renitenz, Anpassung und innerer Emigration. Seine Geschichte schilderte vor einem Jahr Regisseur Andreas Dresen in einem brillanten Spielfilm, der den 1998 gerade 43-jährigen, an einem Hirnschlag gestorbenen Gundermann auch hierzulande erstmals einem breiteren Publikum bekannt machte. Und auch für Christian Lugerth war dieses Werk eine Inspiration, sich mit der charismatischen Figur des Musikers auseinanderzusetzen. Doch er nähert sich ihm nun auf eine ganz andere, assoziative Weise. Biografische Details werden auf der Theaterbühne nur angedeutet, stattdessen weist das Stück über die einzelne Biografie hinaus.

Zusammen mit seinen gleichermaßen überzeugenden Darstellern David Moorbach, Esra Schreier und Sascha Bendiks setzt der Regisseur vor allem auf die Musik, die den Theaterabend strukturiert. An den Instrumenten wechseln sie sich mühelos ab, gespielt werden Gitarre, Bass, Klavier, Mundharmonika. Los geht es mit dem wunderbar melancholischen Stück „Weisstunoch“, in dem es heißt: „Wir wissen das alles was kommt / auch wieder geht / warum tut es dann immer wieder / und immer mehr weh“. Damit ist der Ton des Abends gesetzt. So erzählt das Quartett fortan in unterschiedlichen Rollen von dem rauen Leben der Arbeiter im Tagebau, von den Härten und Gefahren, von den Auseinandersetzungen mit arroganten Parteikadern, aber auch von dem Stolz, den diese Lebensform mit sich brachte. Das wird in kurzen Spielszenen angerissen, wenn ein Kumpel ein Orden verliehen bekommt, wenn in der Mittagspause Schnaps getrunken wird oder wenn ein Arbeiter seiner Freundin stolz die lärmende Fräsmaschine vorführt.

Natürlich bricht dabei immer wieder die große Politik in diese Leben hinein. Davon handeln auch die Texte, die Regisseur Lugerth für sein Stück ausgewählt hat. Zeilen von Heiner Müller, Brigitte Reimann oder Franz Fühmann geben dem Stück einen zusätzlichen Rhythmus. Aber der Regisseur setzt dabei seinen ganz eigenen Takt. Den Mauerfall handelt er in einem kurz von allen vier Schauspielern gebrüllten „Wahnsinn!“ ab, dann folgt schon ein Gedicht von Volker Braun, der sich darin tiefgründig mit den Gewaltexzessen eines Neonazi-Mobs in Hoyerswerda Anfang der 90er auseinandersetzt. Es geht um den Niedergang der Wirtschaft, um die Verwerfungen der Wendejahre. Und schließlich um die Enttarnung Gundermanns als Stasi-Spitzel. Zur Erklärung gab er Mitte der 90er an, er habe geglaubt, „es gäbe eine Ebene, auf der mir nur das Dienen zustünde“. „Auch das war Gundi“, sagt David Moorbach lakonisch.

So setzt sich ein umfassendes Bild zusammen, aus DDR und Wendezeit, aus Industriearbeit und den Härten des Alltags. 20 Jahre nach Gundermanns Tod wirkt all das eine weit entfernte Vergangenheit, die dennoch weit in unsere Gegenwart hineinreicht. Dieser Osten ist anders. Die Erinnerung an seine Geschichte – und natürlich an einen großartigen Liedermacher - ist dem Regisseur und seinem Ensemble unbedingt gelungen.“

(Björn Gauges, 16.11.2019, Gießener Anzeiger)

 

„Es muss auf die DDR-Bürger wie Hohn gewirkt haben. Da stand doch seit 1969 tatsächlich eine Weltuhr auf dem Alexanderplatz im Berliner Osten, auf der die aktuelle Zeit vieler Städte auf dem Globus angezeigt wurde. Doch selbst einmal in diese Städte zu reisen, war den meisten Menschen im Arbeiter- und Bauernstaat verwehrt. Und so fügt es sich gar trefflich, dass Lukas Noll ausgerechnet jene Weltuhr für das Bühnenbild zum Stück »Gundermann - Tankstelle für Verlierer« nachgebaut hat, mit dem Regisseur Christian Lugerth nun auf der taT-Studiobühne versucht, »den Westen an den Osten zu erinnern«. Rund 20 Lieder des baggerfahrenden DDR-Liedermachers Gerhard Gundermann liefern das Gerüst für die Mischung aus Konzert, Spielszenen und persönlichen Bekenntnissen, die sich unter dem Rund der Uhr in einer Symbiose aus Tagebau-Kantine und Probenraum abspielt.

Man merkt dem gut zweistündigen Abend an, dass Lugerth in Gundermanns Entdeckung - in der DDR war der ein Star, im Westen nahezu unbekannt - sein ganzes Herzblut gesteckt hat. Viel im Westen nicht unbedingt vorauszusetzendes Wissen über Gundermann wird dabei angenommen, was in den ersten Spielszenen das Verstehen nicht gerade einfach macht. Gut, dass das Publikum hier zumindest im Programmheftchen durch Dramaturgin Carola Schiefkes Text in Kenntnis gesetzt wird.

Es sei aber nicht die Person Gundermanns gewesen, die ihn so fasziniert habe, hatte Lugerth seine Textfassung vorab im Interview erläutert, sondern die unfassbar tief gehenden Texte des Rockpoeten. Und tatsächlich: die von Lugerth, Esra Schreier, David Moorbach und Sascha Bendix multiinstrumental und mit ungeschöntem Gesang vorgetragenen Songs rühren auch heute noch an.. (…) die Texte voller Melancholie und Heimatverbundenheit lassen auch Wessis nicht kalt.  (…) Zwischen den Liedern gibt es immer wieder kurze Spielszenen, die die von Thomas Döll in typische Achtziger- und DDR-Tagebau-Klamotten gekleideten Darsteller sprechen. (…) Schlaglichter aus dem DDR-Alltag: Pausengespräche über die Arbeitsbedingungen im Sozialismus, Liebesleid oder Planerfüllung. Für Wessi-Ohren entbehrt das nicht einer gewissen Komik, die auch im ironischen Text »Die Kuh im Propeller« von Michail Sostschenko anklingt. (…) Das Stück erzählt nicht Gundermanns Biografie nach, sondern ist eher ein Kaleidoskop der DDR-Geschichte, dem man eine gewisse Ostalgie nicht absprechen kann. »Ich denke, Sozialismus ist der einzig mögliche Ausgang der Geschichte. Wobei ich unter Sozialismus keine Ideologie verstehe, sondern einfach das Gegenteil von Egoismus«, lautet ein Gundermann-Zitat, das als Grundgedanke über der Inszenierung schwebt. Aber die Geschichte hat eben auch gezeigt, dass die Realität eine andere ist.

Eine Pause bildet eine Zäsur im Stück, so wie der Mauerfall für die Menschen in der DDR ein Einschnitt war - eine »Naturgewalt« und nicht das Ergebnis einer geplanten Revolution mit dem Ziel, so wie im Westen zu leben. Gundermanns Stasi-Spitzeltätigkeit wird aufgedeckt, in Hoyerswerda fliegen Molotowcocktails gegen ein Flüchtlingsheim, viele Menschen verlieren Arbeit, Lebensgrundlage und Heimat - und Gundermanns Lieder liefern den Soundtrack für das Gefühl dieser Zeit.

Ihm gehören auch die letzten Minuten des Stücks, wenn sein Lied vom friedlichen Abend erklingt. Aber auch Richard Schröder, der für die SPD sowohl in der Volkskammer als auch im Bundestag Abgeordneter war, wird zitiert mit dem Satz, dass der Westen »mit dem bisschen Anderssein der Menschen im Osten überfordert« scheint.

Wie fremd, und doch so nah die Realität in DDR und BRD war und immer noch ist, hat dieser Gundermann-Abend deutlich gemacht. Es ist eben Zeit, wie von Lugerth beabsichtigt, den Westen an den Osten zu erinnern, damit endlich einmal im positiven Sinne »Gras« über die deutsch-deutsche Geschichte wachsen kann, wie es das nach begeistertem Premierenapplaus als Zugabe gespielte Gundermann-Lied gleichen Titels assoziieren lässt.

(Karola Schepp, 16.11.2019, Gießener Allgemeine Zeitung)

 

"Das Gesamtpaket hat doch ein in seinen unterschiedlichen Schwerpunkten sehr berührendes Bild hinterlassen. Mein z.T. vorurteilsbehafteter, zumindest aber ziemlich gleichgültiger Blick auf dieses fremde Land und seine seltsamen Menschen hat sehr gelitten. Danke für diese neue, unbequeme Perspektive !"

(per E - Mail von der Gitarre des KollektivBeBob. Danke!!!!)

 

"A. hat mir vorgestern "Gundermann Revier" empfohlen. Hab es eben zu Ende angeschaut und bin schwer beeindruckt von der Dokumentation. Hab auch gemekt, daß du mit deinem Stück wirklich dicht an ihn rangekommen bist."

(per E - Mail von Götz Eisenberg)

WHISKEY AND SUGAR

„Bier oder Whiskey, Sommerbaden oder nicht, Pappurne mit Eicheldekor oder die federumflorte Königsversion einer Urne? Die beiden einander bis eben noch gänzlich unbekannten Damen haben widersprüchliche Vorstellungen, was die Zuschreibungen für eine gewisse „Margot“ und ihr Leben angeht. "O Gott!" Die von Bühne und Fernsehen bekannte Diva soll hier eigentlich begraben werden – aber von letzter Ruhe kann keine Rede sein. (…) So beginnt ein schwarzhumoriger Schlagabtausch, der die Zuverlässigkeit der Erinnerung in Frage stellt, vor allem aber an der Gewißheit der Identitäten kratzt. Während Tochter Carolin das traurige Bild einer abwesenden Mutter malt, umkränzt Sonja, angeblich die „engste Vertraute“ Margots, deren Starleben mit allerlei Anekdoten und verbalem Glitzer. Und schon ist er in vollem Gange, der Konkurrenzkampf um die innigste Beziehung zu der Verstorbenen.

Christian Lugerth, zuverlässige Regiegröße bei den Komödianten, bringt den Zickenkrieg (…) mit Tempo über die Bühne, läßt die Stimmung zum hörbaren Vergnügen des Publikums (…) von frostig über schwesterlich bis aufgeheizt wechseln. Und er hat Spaß daran mit den Schauspielerinnen Rafaela Schwarzer und Anke Pfletschinger die Situationskomik auszuspielen. Da wird nicht viel gelauert oder umkreist – die Frauen stehen sich am liebsten frontal wie Kampfhähne gegenüber, knallen sich Bosheiten ohne Umwege, dafür mit vorwurfsvoll bis bedrohlich bohrendem Zeigefinger, um die Ohren. Loriots kleinkarierter Badewannenkrieg zwischen Dr. Klöbner und Hernn Müller – Lüdenscheid fällt einem dazu ein. 

Die Inszenierung läßt den Schauspielerinnen Raum. (…) So wogt der Streit um die Deutungsmacht mit großem Wiedererkennungswert. (…) Daß sich das Stück irgendwann im Kreis dreht, weil die Grundkonstellation die Krisenanlagen und Identitätsfragen eher anreißt als tief taucht, läßt sich verschmerzen. Spaß macht das kurzweilige Geplänkel zwischen Rechthaberei und Nachgeben trotzdem. Und wenn Sonja am Ende dubios mit der Urne herumhantiert, könnte alles wieder von vorne losgehen: „O Gott…!“

(Ruth Bender / Kieler Nachrichten)

 

 

Einbildung und Erfindung machen mehr als drei Viertel unseres wirklichen Lebens aus. (Simone Weil)

Was bleibt von einem Menschen nach seinem Tod? Ein Erbe im glücklichen Fall, um das seine Nachfahren sich streiten, persönliche Gegenstände, die doch irgendwann im Müll landen, vor allem aber Erinnerungen - so vielfältig und verschieden wie ihre Urheber. Denn was ein Mensch ist oder war, bestimmen nach seinem Tod am allermeisten die Übriggebliebenen. Die Deutungshoheit über das Leben, sollte es je in den eigenen gelegen haben, ist längst in andere Hände übergegangen, die sich weniger an den Tatsächlichkeiten, als an den eigenen Interessen an einem ganz besonderen Verhältnis zum Toten spiegeln. Je berühmter der Verstorbene war, um so lohnenswerter scheint es, die eigene Beziehung zu ihm als eine ganz einmalige aufleben zu lassen. Denn die Asche, heißt es, kann sich nicht wehren.

Solch eine Thematik in den räumlichen Rahmen einer Bühne und den zeitlichen eines Theaterabends zu bringen, stellt eine Herausforderung dar, die neugierig macht. Wer hat die Deutungshoheit über unser Leben? Können Erinnerungen lügen und gibt es falsche Wahrheiten? Diese Fragen wirft Heike Falkenbergs und Marion Elskis' schwarze Komödie ‚Whiskey and Sugar’ auf, die am 26. September 2019 die neue Spielzeit im Theater der Komödianten in Kiel einläutete.

Nie habe sie eine Rolle so sehr mit nach Hause genommen wie hier, sagte Anke Pfletschinger, eine der Akteurinnen im 2-Personen-Stück, dem Schattenblick, und auch für ihre Partnerin auf der Bühne, Rafaela Schwarzer, ist es keine klassische Komödie, sondern ein Stück, "wo das wahre Leben mitspielt".

Zwei Frauen, die sich noch nie begegnet sind, treffen sich am offenen Grab der berühmten Schauspielerin Margot Fürstenberg. (…) Die eine ist ihre Tochter Carolin, die zu ihrer Mutter schon lange keinen Kontakt mehr hatte, die andere, Sonja, behauptet, ihre engste Vertraute zu sein. Da sich die Beerdigung verspätet, kommen die Frauen ins Gespräch.

Konflikte sind vorprogrammiert bei so grundverschiedenen Charakteren im Kampf um die Zuwendung und Wertschätzung der Verstorbenen. Dabei geht es von Anfang an weniger um die Tote als um die jeweils eigenen Belange und Beschwernisse, die Schwierigkeiten mit der Anfahrt zur Beerdigung etwa und daß die Urne nicht die ist, die die Tochter bestellt hat. Der Streit entzündet sich an Fragen, wie man ein Grab schmückt und ob es pietätlos ist, bereits angebrannte Kerzen aus der Arbeit im Altenheim aus Nachhaltigkeitsgründen noch einmal zu verwenden. Ob es legitim war, Margots Plüschtiere auf dem Sperrmüll zu entsorgen. Ob Carolin sich nicht um ihre Mutter gekümmert hat, wie Sonja die Tote zitiert - "liebevoll ist meine Tochter nur mit anderen" - oder ob die Mutter die Tochter zugunsten der eigenen Karriere vernachlässigte. Hat Margot einen Selbstmordversuch gemacht oder nicht? Ist sie mit Sonja baden gegangen oder hat sie eher das Wasser gescheut?

Zwischen gegenseitiger Ablehnung und Zwist, der bis zur Androhung körperlicher Gewalt mit Spaten und Harke reicht, gibt es aber in der geteilten Unfähigkeit, das Begräbnis zu gestalten, bei Whisky und Zucker auch immer wieder Momente der Annäherung und Ergänzung der jeweiligen Erinnerungen.

Regisseur Christian Lugerth, der aus eigenem Erleben weiß, wie unterschiedlich Geschwister den eigenen Vater (die eigene Mutter) in Erinnerung haben und welche Konflikte daraus entstehen, gefiel diese Mischung aus Komik und "wahnsinniger Traurigkeit", wie er dem Schattenblick nach der Premiere verriet. "(…) Bis man mal an den Punkt kommt, wo man sagen kann: So, jetzt akzeptiere doch Du mein Bild, dann akzeptiere ich dein Bild und umgekehrt. Ich glaube, das ist normal, es ist absolut normal."

Den Schauspielerinnen Anke Pfletschinger und Rafaela Schwarzer bot das Stück jede Möglichkeit, im Wust widerstreitender Gefühle die ganze Bandbreite ihres schauspielerischen Könnens auszufahren, Wut und Witz, Trauer und Hilflosigkeit, Nachdenklichkeit und Sarkasmus, bei einer deutlich stärkeren zweiten Hälfte nach der Pause, die Rollen und Spielerinnen zunehmend ineinander aufgehen ließ.

Das Stück von Heike Falkenberg und Marion Elskis (…)  ist (…) eine Aneinanderreihung von zum Teil witzigen und skurillen Ideen, aber auch abschweifigen Dialogen, die wenig zur Stringenz des Stückes beitragen. Minutenlang spielen die Protagonistinnen, Sonja in Kleid und Perücke der berühmten Mimin, eine Szene aus Schnitt mit Herz nach, der Serie, die Margot in der Rolle der Conny berühmt gemacht hat, und auch der Disput um das hinterlassene Geld, das in den Plüschtieren versteckt war und jetzt auf dem Müll liegt, gerät langatmig. Insgesamt bleibt die Figur der verstorbenen Margot blaß, das Stück bei großartiger spielerischer Leistung hinter den geweckten Erwartungen und den Möglichkeiten des Stoffes zurück.

Am versöhnlichen Ende steht ein Lied von Hildegard Knef - auch dies eine Hinzufügung von Christian Lugerth - "So oder so ist das Leben, so oder so ist es gut". Die Quintessenz, so der Regisseur: "Du hast nicht recht, ich hab auch nicht recht, also hast du recht, so habe ich auch recht." Whisky und Zucker lassen sich eben durchaus zusammen konsumieren.“

(Schattenblick am 8. Oktober 2019)

 

 

 

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