KRITIKEN

Kollektiv Be Bob

„Kollektiv BeBob“: Christian Lugerth neues Bandprojekt überzeugt bei der Premiere im Ulenspiegel mit sensiblen, mutigen, experimentellen Interpretationen.

Eine neue Band im Ulenspiegel: Hinter dem „Kollektiv BeBob“ verbirgt sich Christian Lugerths neues Dylan-Projekt, der Nachfolger des „Lahn-Dylan-Kreises“. Der rockig-jazzige-funkige Ansatz machte den Zuhörern im gut besuchten Keller richtig Spaß.

Zumal der Regisseur, Schauspieler und Dylan-Experte sich unter dem Vorschlag, Bob zu sein (Be Bob), einige erfahrene Musiker an seine Seite geholt hat. Er selbst sang, spielte Gitarre und sprach – manchmal alles zusammen - hinzu kamen JJ Fischer (Gesang, Gitarre), Andreas Jamin (Posaune), Joe Bonica (Schlagzeug) und der bereits im „Lahn-Dylan-Kreis“ involvierte Christian Keul (Bass). Das Konzept: Dylans Musik „etwas anders zu beleuchten. Jazziger, schräger, mutiger sich von den Originalvorlagen entfernend.“ (Fischer)

Bei der Premiere ging’s fast kammermusikalisch zu, Posaune und Schlagzeug blieben unverstärkt, was gelegentlichen Druckanstieg aufs Maximum nicht ausschloß und einen schönen, klaren Sound ergab. Von schlichtem Interpretieren der Originale konnte also keine Rede sein, wie schon zu Beginn klar wurde, als die Band sanft und frei in der Warteschleife improvisierte, während Lugerth langsam den Text von „Blowing in the Wind“ sprach. Dann ging’s ins Intro und der Text wurde inhaltlich klarer – er war auch nicht so genuschelt.

Fließender Übergang in „On the Road again“ mit einem schwungvollen Gitarrensolo von Fischer, Jamin zog sehr originell mit, alles hatte einen schönen Swing. Da hörte man das erste Mal, wie gut Posaune und elektrische Gitarre miteinander harmonieren können.

Jamin bewies den ganzen Abend, wie samtweich er sich einfühlen kann und fügte ein ums andere Mal wertvolle Beiträge zum Ganzen hinzu, ungemein musikalisch und ästhetisch hochwertig, nicht zuletzt in der Synthese mit Fischer. Der spielte etwas freier, jazziger, und das Rhythmusgefüge wurde zuweilen nachhaltig erschüttert.

Lugerth gab jeweils eine kurze Einführung auf Englisch und Deutsch und trug die Texte ansonsten deutlich, aber unverkrampft anders vor, sprach etwa schon mal einen Titel ganz durch. Er konnte aber auch ganz und gar natürlich Dylan singen – auch nicht schlecht. Bonica ließ ganz nach Bedarf die Sache im Reggae schwingen, marschierte energisch im freien Rhythmus mit und ziselierte dann immer wieder großartige Feinheiten; alles mit höchster Werkdienlichkeit. Keul spielte einen kantablen Bass.

Ingesamt waren sensibel umformatierte Titel zu entdecken, die die musikalische Substanz locker erhielten. Man kann Dylan eben auch anders interpretieren, und das war ein erfrischendes Erlebnis.“

(Heiner Schultz / Gießener Anzeiger)

 

"Es war ein Konzert der Jazzinitiative, aber mit Jazz hatte das Dylan-Programm nur insofern zu tun, als sich Jazzer größere Freiheiten bei der Bearbeitung musikalischer Vorlagen erlauben als Popmusiker. Der Nobelpreisträger aus Minnesota selbst ist mit seiner Tendenz, die eigenen Songs bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, vielleicht auch ein Vorbild für das Kollektiv Be Bob gewesen, das im Ulenspiegel seine gefeierte Live-Premiere hatte.

Zentrale Figur ist der als Schauspieler und Regisseur mit dem Stadttheater verbundene Christian Lugerth, der auf der kleinen Ulen-Bühne vor allem als Sänger, aber auch als Rhythmusgitarrist und Blues-Harp-Spieler agiert. Seine Erfahrungen hat er nicht zuletzt mit dem – musikalisch weniger wagemutig agierenden – Lahn-Dylan-Kreis gesammelt. Zu diesem gehört auch Christian Keul, der im Kollektiv Kontrabass spielt und erkennbar Freude an den Ostinati hat, die er als Grundlage für viele Be-Bob-Versionen liefern darf. Die Leadgitarre, eine retromäßige Halbakustische mit riesigem Wimmerhebel für dezent dreckig eingefärbte Riffs und Licks, spielt der von Colors of Blue und Black Coffee bekannte JJ Fischer. Ebenfalls mit allen musikalischen Wassern gewaschen: Captain Overdrive-Posaunist Andreas Jamin und Drummer Joe Bonica.

Über die Idee, den eigenwilligen, aber immer zugänglichen Neubearbeitungen kurze Rezitationen und Songtextausschnitte mit Übersetzung voranzustellen, kann man geteilter Meinung sein, aber die Qualität und Originalität der musikalischen Neuinterpretationen begeistert. Immerhin erspart das Konzept den Fans die x-te Version des kinderliedhaften Protestsongs »Blowin in the Wind«, das nur gestenreich rezitiert wird.

Richtig los geht es mit »On the Road Again«. Der im Original konventionelle Zwölftakter kommt durch Jamins Posaune mit leichter New-Orleans-Jazz-Note daher, und »Tangled Up in Blue« tönt mit seiner leicht angezerrten Gitarre recht funky, im Solo sogar schwer rockend. Ein feines Bass-Solo rundet die Sache ab. In »Everything Is Broken« begeistert eine coole Slidegitarre, während »Maggie’s Farm« – sehr gebremst mit verhallter Gitarre, Schlägeleinsatz an den Drums und Bluesharp – an die Sümpfe im Mississippi River Delta denken lässt. Die Geschichte von »Hollis Brown« kombiniert das Kollektiv mit »Masters of War« und »Political World«.

Am weitesten geht die Band mit »Like a Rolling Stone«, dessen Text sie auf Miles Davis’ Modaljazz-Klassiker »Freddie Freeloader« legt. Und in der Zugabe pendelt Dylan dann noch zwischen NYC und Havanna: »All Along the Watchtower« ist klar an die Hendrix-Version angelehnt, kleidet sich aber in ein kubanisches Gewand. Ganz zum Schluss gibt es dann sogar noch einen eher unbekannten Dylan-Song, den Elvis durch eine Coverversion geadelt hat. Bleibt zu hoffen, dass weitere Auftritte folgen werden."

(Axel Cordes / Gießener Allgemeine)

 

„Ihr seid echt eine Waffe, voll geladen!“

(ein ehemaliger musikalischer Mitstreiter in der Pause des Gigs)

NUR DREI WORTE

„Gerade haben sie den Freundinnen noch erzählt, wie sie sich vor 25 Jahren kennengelernt haben. Tess hatte Curtis damals sein zerlesenes Exemplar von F. Scott Fitzgeralds Roman "Zärtlich ist die Nacht" hinterhergetragen und ihn angeschmachtet. Bonnie und Annie nicken, lachen und trinken – das befreundete Frauenpaar kennt die Geschichte zur Genüge. Da tritt Tess einige Schritte zurück, steigt auf eines der schwarzen Podeste, die die Wohnlandschaft auf der Bühne des Wallgraben - Theaters bilden, und sagt: "Wir trennen uns". Der Titel der Gesellschaftskomödie von Joanna Murray-Smith, (...) heißt "Nur drei Worte" – denn das, was "Wir trennen uns" bei allen vier Protagonisten anrichtet, ist Dreh- und Angelpunkt dieses so unterhaltsamen wie tiefschürfenden Abends.

Man möchte Wetten darauf abschließen: Jede und jeder im Saal kennt die Spielsituation, in die Regisseur Christian Lugerth seine mit viel Tempo und Präsenz agierenden Darsteller Regine Effinger, Elisabeth Kreßler, Kyra Lippler und Andreas von Studnitz versetzt. Entweder, weil auch bei ihnen schon eine Partnerschaft in die Brüche ging – oder weil sie als Verwandte oder Freunde von der Trennung anderer unmittelbar betroffen waren. Das Expertentum aller Anwesenden macht einen Teil der Faszination dieses 2017 in Australien uraufgeführten Stücks aus. (...) Denn ehrlich, jede Frau, jeder Mann, völlig egal ob hetero- oder homosexuell, hat sich früher oder später schon gefragt: "Was will ich vom Leben – und mit wem will ich es?"

Tess (Regine Effinger) weiß es nicht. Aber was sie weiß: "Die Geburt eines Paares geht Hand in Hand mit der Ermordung des Individuums." Heißt: In der Ehe mit Curtis hat die Verlegerin sich nicht mehr als Ich wahrgenommen, nur noch als Wir. Und auch, wenn die Sehnsucht nach einem anderen Leben diffus ist – Tess ist wild entschlossen, es zu führen. Daß schon die Verkündigung ihres Plans ein Trümmerfeld hinterläßt, ist ihr ziemlich egal. Curtis (Andreas von Studnitz) erscheint zunächst gefaßt, dann abgrundtief verzweifelt und springt kurz darauf so geschmeidig in ein neues Leben, daß er damit die Frauen um sich herum extrem vor die Köpfe stößt. Das lesbische Paar Bonnie (Kyra Lippler) und Annie (Elisabeth Kreßler) gerät in das Dilemma, sich auf eine Seite schlagen zu müssen, gleichzeitig für beide da sein zu wollen und überdies nicht umhin zu kommen, ihre eigene Partnerschaft zu hinterfragen.

Keine Frage, hier kommen alle Figuren ins Schlingern – ihnen dabei zuzusehen, ist höchst amüsant. Gleichzeitig überfällt den einen oder die andere vielleicht auch eine leichte Melancholie und Traurigkeit – so ist das Leben eben.

Emotionen zu zeigen und diese vor allem zu erklären: Das ist die Kunst, bei der jeder schon mehr oder weniger versagt hat.(...) Wirklich jeder? Nein, in "Nur drei Worte" sind es eher die Frauen, deren Verhaltensweise kritisiert wird. Curtis ist pragmatisch und findet sich mit Realitäten ab – von Studnitz geht in dieser Rolle sehr authentisch auf. Daß genau diese "Realitäten" sich permanent ändern, ist der wankelmütigen Tess zu verdanken, die Regine Effinger mit viel Temperament und Beharrungsvermögen spielt. Aber auch Elisabeth Kreßler und Wallgraben-Neuling Kyra Lippler finden sich glaubwürdig in ihre Rollen ein. Ein intelligentes Gesellschaftsstück! (...)"

(H. Ossenberg / Badische Zeitung)

 

„ (…) Patti Smith's Ode an alle Liebenden scheppert aus dem Plattenspieler, zwei Pärchen plaudern, trinken und haben es fröhlich vertraut. Auf der mit vielen schwarzen Podesten und Kunstbänden eingerichteten Bühne wird harmlose Heiterkeit zelebriert. Der Anlaß ist eine kleine Glückwunschparty für ein Traumpaar, das seit Jahrzehnten Höhen und Tiefen miteinander teilt. Doch das ist nun vorbei: Tess (Regine Effinger) fühlt sich „an der Frontlinie der Sterblichkeit“ und hat genug vom „Wir“, von ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau. Sie will mehr und ist wild entschlossen sich neu zu erfinden, auch wenn das Ziel noch nebulös ist. Schließlich geht die Geburt eines Paares immer Hand in Hand mit der Ermordung des Individuums. Oder wie es Andreas von Studnitz als ihr Noch – Mann formuliert: „Existentielle Bedürfnisse versus konventionelle Sicherheit.“ (…) Immer mittendrin und zwischen allen Fronten: Das lesbische Freundespaar Bonnie (Kyra Lippler) und Annie (Elisabeth Kreßler). Die werden nun selbst von einer Beziehungskrise gebeutelt, weil Annie ihrerseits Rollenverteilungen und Selbstverständlichkeiten in Fragestellt. Das Trennungsvirus scheint jedenfalls hochansteckend. (...) Ein Stück also über eine dramatische Midlife – Crisis gespickt mit bildungsbürgerlichen Klischees? Nein. Es gibt nämlich nicht nur temporeiches und facettenreiches Schauspiel zu erleben, sondern auch pointierte, kluge und immer wieder sehr lustige Dialoge, die im Grunde Existentielles verhandeln: Freiheit oder Angst? Welche Entscheidungen und Kompromisse halten langjährige Beziehungen zusammen, welche Sehnsüchte bleiben dabei auf der Strecke? Wer kommt hier zu kurz? Spannend, welche Diskussionen sich danach eventuell bei den Paaren im Publikum mit welcher Dynamik entwickeln.“

(Marion Klötzer / Kultur Joker Freiburg)

 

„ (…) Joanna Murray Smith, eine der bedeutendsten australischen Dramatikerinnen, befaßt sich in ihrem Trennungsdrama mit der Situation einer Ehefrau, die als Mutter, Ehe – und Geschäftsfrau perfekt funktioniert hat, ihren Mann immer noch liebt und trotzdem – eine diffuse Sehnsucht spürend – vor der Frage steht: „War`s das?“. Die zentralen Aspekte in dieser sehr gelungenen Inszenierung (Regie: Christian Lugerth) thematisieren, was mit dem Individuum in einer langen Partnerschaft geschieht und der Schwierigkeit zu wissen, was man will und was man fühlt. Kann sich das Individuum in der Partnerschaft behaupten oder wird es nivelliert? Kann es sich weiterentwickeln? Was versagen wir uns selbst? Und weiter, wie schwierig ist es, Gefühle und Sehnsüchte in Sprache zu übersetzen und auszudrücken, Mißverständnisse zu vermeiden, ein Verstehen herbeizuführen? Die Dramatikerin Smith macht die Sprache selbst zum Thema, die Emotionen nur defizitär zum Ausdruck bringen kann. Deutlich wird dies auch bei dem befreundeten lesbischen Paar, das in den Strudel der Zerstörung hineingerissen wird und deren bis dato selbstverständliche Zusammengehörigkeit ebenfalls ins Wanken gerät. Es ist ein bissiges, interessantes Stück (…) kurzweilig, intensiv und emotional auf die Bühne gebracht, hinterläßt es einen langen Nachklang.

(Andreas Lips / Fipps Freiburg)

JUPP - Ein Maulwurf will nach oben

"Wer einmal dem Zauber des Theaters erlegen ist, der will irgendwann auch wissen, aus welchen Bestandteilen dieser Zauber zusammengesetzt ist. Genauso geht es Maulwurf Jupp, der sich im neuen Familienstück zur Weihnachtszeit daran macht, die Geheimnisse auf und hinter der Bühne des Stadttheaters zu erkunden. Unter der Regie von Christian Lugerth ist mit "Jupp - Ein Maulwurf auf dem Weg nach oben" ein kurzweiliges, mit eingängigen Liedern und Tanzeinlagen angereichertes Schauspielvergnügen entstanden, an dem Kinder ab sechs Jahren eine Menge Spaß haben - und bei dem auch die erwachsenen Begleiter noch etwas lernen können.

Jupp ist "27 Wochen und zwei Tage alt", stammt aus Lollar und hat sich kilometerweit bis zur Unterbühne des Stadttheaters durchgegraben. Jetzt steht er hier, direkt unter der Bühne des Großen Hauses, und erfährt, wer wirklich für den Erfolg der Stücke zuständig ist: die an diesem Ort lebenden Theatertiere. Angeführt werden sie von einer forschen Katze, hinzu kommen zwei alte Theaterhasen sowie ein Marder, der sich um Bühnentechnik, Kulissen und vor allem die wohlschmeckenden Kabel kümmert (Kostüme: Thomas Döll).

Gemeinsam nehmen sie Jupp - und damit auch das Publikum - mit auf eine Erkundungsreise durch das altehrwürdige Haus, für die der in Gießen vielbeschäftigte Regisseur Lugerth (zuletzt: "Kurze Interviews mit fiesen Männern") und sein Bühnenbildner Udo Herbster die Perspektive umgedreht haben. Die sonst den Blicken verborgene Unterbühne ist nun Schauplatz der Geschichte und - wer hätte das gedacht? - auch der Ort, an dem alle Theaterfäden zusammenlaufen. Von hier unten aus greifen die Tiere behutsam und unerkannt in das Geschehen ein, das sich im Stockwerk über ihnen abspielt. Sie geben vergesslichen Schauspielern das passende Stichwort, der Kulisse mit dem Pinsel einen goldenen Farbanstrich und den Regisseuren manchen originellen Einfall, ohne dass die Menschen etwas davon ahnen. Die Wirkung ihrer Einflussnahme können sie durch ein riesiges Periskop verfolgen, während ihre Erzählungen den Zuschauern ein plastisches Bild vom Geschehen auf der Bühne über der Bühne vermitteln.

Nun hat sich auch Maulwurf Jupp auf sein Leben als Theatertier vorbereitet. So weiß er etwa, dass es komische, gefährliche und spannende Stücke gibt, wie er anhand einer Bananenschale zu demonstrieren weiß. Aber seine Neugier lässt ihn auch unvorsichtig werden, und so bringt er mit einem Auftritt weiter oben die Proben fast zum Platzen. Das Märchen "Froschkönig" steht auf dem Spielplan, aber nun droht eine Absage. Doch dann wäre das Theater pleite, wie die Katze bei einem heimlichen Besuch des Intendantinnenbüros feststellt. Also müssen die Tiere nun selber ran, um das traditionsreiche Haus vor dem Scheitern zu retten.

Das Stück aus der Feder von Gertrud Pigor erzählt so gewitzt wie lehrreich davon, wie es im Theater zugeht. Da gibt es Schauspieler, die ständig ihren Text vergessen, die das Lampenfieber plagt und die so eitel sind, dass sie sich weigern, in das Kostüm eines Tieres zu schlüpfen. Hinzu kommt in diesem Fall ein junger, unerfahrener Regisseur, dem es schwerfällt, das Chaos zu bändigen, wie die erfahrenen Theatertiere erkennen. Man ahnt, daß das alles so weit von der Realität nicht entfernt sein muss. Und dann ist da noch die Technik hinter der Bühne, die jederzeit für Ärger sorgen kann. Schließlich ist das Haus schon 111 Jahre alt, was sich zeigt, wenn der Frosch an einen Pfeiler klopft - und sofort der Staub von der Decke rieselt.

In einer guten Stunde Spielzeit erhalten die Zuschauer auf diese Weise viele spannende Einblicke ins Theaterleben. Überforderte Schauspieler, knappe Kassen und marode Technik gehören also dazu. Aber auch feste Rituale, große Neugier und vor allem die große Leidenschaft für die gemeinsame Bühnensache. Was bleibt den Kindern denn sonst, wenn es kein Theater mehr gibt? Na, "Handys, Videos, Netflix", fällt dem alten Theaterhasen ein. Doch das ist alles nichts gegen die Fassung des "Froschkönigs", mit der die Tiere - und das engagierte Ensemble - schließlich ihr Publikum für sich einnehmen. Allein diese wunderbare Schlussepisode zeigt, welchen Zauber das Theater entfachen kann - bei kleinen wie bei großen Zuschauern."

(Björn Gauges / Gießener Anzeiger)

 

 

"Zum Glück hat das Theater mit Christian Lugerth einen erfahrenen Regisseur mit seinem Familienstück zur Weihnachtszeit beauftragt. Denn was mit unkundigem Personal schiefgehen kann, zeigt »Jupp – Ein Maulwurf auf dem Weg nach oben«. Ein tierischer Theaterspaß mit Blick hinter die Kulissen. (...)

Das es im Theater hinter bzw. unter der Bühne weit weniger spektakulär aussieht als auf der Bühne, nimmt Bühnenbildner Udo Herbster als Herausforderung an. Seine Drehbühne verwandelt sich mal in einen schwarz gestrichenen Raum mit dicken Metallstreben und »Achtung Bühne dreht sich«-Schild, wird dann zur Schaltzentrale, in der nur der Marder weiß, welche Schalter er zu drücken hat, und bietet den Tieren auch Unterschlupf für den Fall, dass tatsächlich mal ein echter Bühnentechniker auftaucht. Thomas Döll hat die Tiere mit fantasievollen Kostümen ausgestattet. Maulwurf Jupp mit Stirnlampe und Latzhose ist herzallerliebst, die Theaterhasen besonders schick.

Aufmerksames Zuhören ist allerdings angesagt, denn das, was auf der eigentlichen Bühne passiert, bekommen die jungen Zuhörer quasi nur erzählt. Mit einem Periskop schaut die Katze immer mal wieder nach. Die von Jan-Willem Fritsch komponierte Musik komplettiert den Theaterspaß mit Ohrwurmmelodien. Den größten Applaus gibt es am Premierenende, als Darsteller und Regieteam noch einmal gemeinsam auf die Bühne kommen und mit Stampfen und Klatschen zum Queen-Song »We will rock you« singen: »Wir sind verrückt nach Theater«. Nach diesem Stück trifft das ganz gewiss auch auf die Kinder im Publikum zu."

(Karola Schepp / Gießener Allgemeine)

 

HR4 Hessenschau

KURZE INTERVIEWS MIT FIESEN MÃNNERN

"Es beginnt mit Pferdemist. (Die Schauspieler sprechen von Pferdescheiße! gez: der Säzzer!) So jedenfalls kommentiert einer der Schauspieler in »Kurze Interviews mit fiesen Männern« die Tiraden seiner Geschlechtsgenossen. Mist gebaut und Mist erlebt haben alle. Der Penis spricht. Er erzählt, warum ihn Frauen anmachen, was er von ihren Leibern erwartet, warum ihn sogar die kleinen roten Pickel, die nach dem Rasieren weiblicher Beine zu sehen sind, erregen. Der Träger des Körperteils lässt sich von ihm durch die Betten treiben, auf der Suche nach dem nächsten sexuellen Kick. Doch wenn es ernst wird mit der Beziehung und die Frau »erobert« ist, dann ergreift der Jäger die Flucht und schaltet auf »Schubumkehr«.

Es ist nur eines der vielen Klischees und psychologischen Deformationen, die Christian Lugerth in seiner Inszenierung in der taT-Studiobühne vorführt. Die Theaterfassung von David Foster Wallace’ 1999 erschienenem Erzählband »Kurze Interviews mit fiesen Männern« hat er für die Gießener Bühne adaptiert. Klug beschränkt er sich auf nur drei Typen der im Buch 18 fiktiven Interviews und bettet sie stimmig ein in eine Art archetypische Vater-Sohn-Konstellation. Doch Interviews im eigentlichen Sinne sind es nicht, die die drei egozentrischen Männer – lustvoll gespielt von Sebastian Songin, Harald Schneider und David Moorbach – vortragen. (...) Um des Mannes bestes Stück geht es mehr oder weniger unentwegt. Die Männer singen wie Monty Python nach der Samenspende voller verzweifeltem Stolz »Every sperm is useful«, schließlich müssen sie sich selbst vergewissern, wie wichtig sie doch sind. Der Geschlechtsakt wird so zum national bedeutsamen Akt, der Mann zum Schöpfer, den nur sein orgastischer Ruf »Sieg für die Kräfte der demokratischen Freiheit« aus dem Konzept bringen kann. Männer demonstrieren Macht, doch hinter ihren Fassaden bröckelt es längst. Was macht einen guten Liebhaber aus? Darf ein Vater seinen Sohn verachten, weil der die attraktive Ehefrau zum Muttertier gemacht hat? Welche Folgen hat sexueller Missbrauch und liegt in dem schrecklichen Erlebnis vielleicht sogar die zynische Chance, im Sinne eines Holocaust-Überlebenden innere Stärke zu erlangen? Darum kreisen ihre Gedanken, die sie in schonungsloser Ehrlichkeit beichten.

Nicht nur weil Lukas Noll die Bühne mit Liegen, Ambulanzvorhängen, Rollstuhl und Infusionsständern ausstattet, sondern auch weil Wilfried Weyl mit Spritze oder Beruhigungssaft immer wieder als stummer Pfleger eingreift, wenn die Herrschaften außer Kontrolle geraten, fühlt man sich als Zuschauer wie in einer psychiatrischen Heilanstalt. Weyl, im echten Leben früher Chefkrankenpfleger der JVA Buseck (Butzbach, liebe Frau Schepp, Butzbach! gez: der weinende Säzzer!), kennt sich eben aus mit bösen Jungs. Als Einziger auf der Bühne scheint er in sich zu ruhen, kein psychotischer Männercharakter zu sein. Böse Zungen könnten allerdings behaupten, dass dieser Eindruck vielleicht nur daran liegt, dass er durchgängig schweigt. (...)

Was die drei Männer erzählen, erinnert an psychologische Fallstudienberichte. Sex als Leistungssport, der Penis als Machtsymbol, die Verachtung des Vaters gegenüber dem als Konkurrent wahrgenommenen Sohn – das alles zeigt, dass diese ach so fiesen Männer in Wahrheit arme Würstchen sind. Dass dies wohl auch für die Machtmenschen dieser Welt gilt, die glauben, als Präsident Frauen zwischen die Beine greifen oder als Filmbosse begrabschen zu dürfen, müsste man sich allerdings dazudenken. Denn die drei fiesen Männer im taT sind im Grunde machtlos – wirken eher wie Opfer, denn als Täter.

Drei überzeugend agierende Darsteller – allen voran Harald Schneider, der die eifersüchtige Tirade des Vaters zum Ereignis macht, das klinische Setting, die deftigen Worte, die Vater-Sohn-Geschichte als roter Faden: All das macht Lugerths Fassung der »Kurzen Interviews mit fiesen Männern« zu einem durchaus vergnüglichen Erlebnis, das die ermüdenden Längen der Originalvorlage hinter sich lässt und zum Nachdenken anregt. (...)"

(Karola Schepp, 03.11.2018, Gießener Allgemeine Zeitung)

 

"Zum zehn­ten Mal hat sich im Sep­tem­ber der To­des­tag (Suizid!! gez: der Säzzer!) von Da­vid Fos­ter Wal­la­ce und da­mit ei­nes der be­deu­tend­sten zeit­ge­nös­si­schen Schrift­stel­ler ge­jährt. Mit der In­sze­nie­rung „Kur­ze In­ter­views mit fie­sen Män­nern“ wen­det sich das Stadt­thea­ter nun dem Werk des US-Ame­ri­ka­ners zu. Am Don­ners­tag hat­te das Stück im taT Pre­mie­re.

Rund 90 Mi­nu­ten dau­ert der Thea­ter­abend von Re­gis­seur Chris­ti­an Lu­gerth, der sich be­müht, den 1999 im Ori­gi­nal er­schie­ne­nen gleich­na­mi­gen Er­zähl­band zu dra­ma­ti­sie­ren. Im Er­geb­nis sieht das so aus: Über wei­te Stre­cken des Abends sit­zen die drei Schau­spie­ler Se­bas­ti­an Son­gin, Ha­rald Schnei­der und Da­vid Moor­bach auf drei Po­de­sten. Im Hin­ter­grund hat Büh­nen­bild­ner Lu­kas Noll ei­ne Art Kran­ken­haus­op­tik ge­schaf­fen, durch die Wil­fried We­yl als stum­mer Pfle­ger tourt. Spra­che steht im Zen­trum. (...)

Doch auch die gu­ten Leis­tun­gen der Schau­spie­ler kön­nen nicht da­rü­ber hin­weg­täu­schen, dass die In­sze­nie­rung über wei­te Stre­cken miss­lun­gen ist. Zu­nächst wird wie­der ein­mal deut­lich, dass die Dra­ma­ti­sie­rung von Er­zähl­tex­ten wie eben Kurz­ge­schich­ten we­nig sinn­voll ist. Ei­ne Aus­nah­me ent­steht, wenn ein Text durch die Dra­ma­ti­sie­rung viel­leicht zu­sätz­li­che Tie­fe ge­winnt. Aber In­sze­nie­run­gen wie je­ne im taT, bei der Schau­spie­ler die meis­te Zeit im Sit­zen Tex­te auf­sa­gen, er­ge­ben eben kei­nen Sinn, weil der Gat­tungs­wech­sel über­haupt kei­nen künst­le­ri­schen Ge­winn bringt.

Da­mit ist ei­ne gro­ße Schwä­che der In­sze­nie­rung an­ge­spro­chen, die eher wie ei­ne Le­sung wirkt. Da­ran än­dert auch die durch den Pfle­ger be­weg­te Kran­ken­haus­at­mo­sphä­re nichts, die oh­ne­hin mit der Vor­la­ge von Wal­la­ce so gar nichts zu tun hat. Schlim­mer noch: Durch die Ver­or­tung des Tex­tes in ei­ner Kli­nik wer­den die Ge­schich­ten des Schrift­stel­lers ver­armt, ver­frem­det und ih­rer Tie­fe be­raubt.(...)

Auf der Stu­dio­büh­ne wird das Werk prak­tisch völ­lig ent­kernt und aufs Kau­zi­ge und An­ek­do­ti­sche re­du­ziert. Wer sich wirk­lich mit den ge­nia­len Er­zäh­lun­gen die­ses en­ga­gier­ten Au­tors be­fas­sen will, der greift bes­ser zum Er­zähl­band."

(Ste­phan Scholz, 03.11.2018, Gießener Anzeiger)

 

"Na, als vergnüglichen Abend kann man das nicht bezeichnen - aber wir sind ja auch nicht zum Spaß auf der Welt, sondern neigen immer mal wieder zur intellektuellen Schwerlast. Zum Glück ja nicht ständig. Aber man bekommt ein Gefühl dafür, wieso bei diesen messerscharf vernichtenden Gedanken ein Suizid das Positivste des Negativen sein kann. Schwere Kost also, die dann doch noch mit mehreren Gläsern Wein verdaut werden musste (...)

Gute Parts aus dem sicherlich viel ausführlicherem Material habt ihr ausgewählt, und die drei zentralen Monologe waren äußerst aufwühlend. Tolle Schauspieler, vor allem die unheimliche Präsenz des alten Mannes verfolgt mich noch bis jetzt, und etliche Zuschauer waren entweder zu blöd, wahrscheinlich aber eher so bedroht, dass sie in abwehrendes Gekicher und Schenkelklopfen verfielen. Das war dann aber auch schon das Einzige, was ich an diesem Abend kritisieren kann, ansonsten: schmerzhaft begeistert ! (...)"

(aus der Zuschrift vom einem, dem Fiese Männer und DFW nicht ganz fremd sind)

 

Frühkritik HR 2

 

Und ein FREIES RADIO (PS: auf eine Demo vor dem taT freue ich mich)

JUDAS

"Regisseur Christian Lugerth inszeniert für das Stadttheater, in Zusammenarbeit mit der evangelischen Stadtkirchenarbeit und dem Spielzeitmotto »Theater trifft Stadt« entsprechend, den Monolog nicht auf einer Bühne, sondern in der Pankratiuskirche. Das ist nur konsequent, denn schließlich gäbe es auch dieses Gotteshaus nicht, wenn Judas Jesus nicht den Hohepriestern ausgeliefert und so sein Schicksal erfüllt hätte. Weil Judas zum Verräter wurde, konnte Jesus zum Erlöser werden und das Christentum entstehen.

Schauspieler Pascal Thomas verkörpert diesen Judas in all seinen Facetten. Er zeigt ihn als kopfgesteuerten Zweifler und selbstbewußten Machertyp. Er betreibt Imagepflege in eigener Sache, aber ohne sein Vergehen abzustreiten. (...) Knapp eine Stunde lang spricht Pascal Thomas als Judas im zeitlosen schwarzen Anzug und weißem Hemd das Publikum direkt an. Er setzt sich frech auf den Altar, spricht mit klaren, unverschnörkelten Worten von der Empore und der Kanzel und die Zuschauer hängen an seinen Lippen. Er schaut jedem Einzelnen in der Kapelle in die Augen, auch um herauszufinden, wer an diesem Abend selbst zum Betrüger geworden ist, weil er keine Eintrittskarte gekauft hat. Jeder kann zum Verräter werden, ist seine Botschaft. Aber ausgerechnet er, Judas, ist es in einem besonders folgenschweren Fall geworden und hat damit die Schuld der Welt und der Menschheit auf sich geladen. War es sein unausweichliches Schicksal oder seine bewußte Entscheidung? Und hat nicht gerade erst der Zweifler Judas dazu beigetragen, daß die Christen Erlösung erfahren und das Christentum zur Weltreligion entwickeln konnten. Die Zuschauer sind angehalten, sich darüber ihre eigenen Gedanken zu machen. Lot Vekemans »Judas« setzt einen Denkprozeß in Gang. Und gerade darin liegt die Kraft dieses Monologs. (...)

Christian Lugerth nutzt mit seiner »Judas«-Inszenierung den besonderen Ort Kirche klug. Er bezieht zwar den gesamten Kirchenraum mit ein, konzentriert sich aber dennoch fast ausschließlich auf das gesprochene Wort. Daß von der Orgelempore auch schon mal Beerdigungslieder wie »So nimm denn meine Hände« erklingen, ist eine sinnvolle, zum Glück aber nicht noch weiter ausgedehnte Ergänzung. Theaternebel hinter dem Altar oder Variationen in der Beleuchtung sind ebenfalls sehr sparsam eingesetzt. Schließlich kommt es in diesem Monolog in erster Linie auf das Wort an – und dem verschafft Schauspieler Pascal Thomas große Nachdrücklichkeit. Das Premierenpublikum honoriert es mit lang anhaltendem Applaus."

(Gießener Allgemeine)

 

"(...) Pascal Thomas räumte mit seinem intensiven Spiel voll ab. Christian Keul lieferte versiert verschiedene stimmungsvolle Orgelmusiken und gab Stichworte. In einer Zusammenarbeit mit der evangelischen Stadtkirchenarbeit erschloss sich das Theater hier einen neuen Spielort, und siehe, es funktionierte gut. Es ist ja auch eine interessante Idee, den Erz- und Urverräter Judas Iskarioth mal selbst zu Worte kommen zu lassen und die Figur aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, ihn gleichsam als Zeitzeugen reden zu lassen.

Christian Lugerths Inszenierung (Dramaturgie Monika Kosik) bespielt zum einen den Raum und nutzt seine begrenzten dramatischen Möglichkeiten klug, aber nicht übertrieben aus. Und Pascal Thomas ist genau der Richtige, um die Sache quicklebendig zu realisieren. Mit sichtbar größter Spielfreude zischt er durchs Kirchenschiff, flitzt auf die Empore hinauf oder spricht von der Kanzel zum Volk. Dabei behält er selbst bei den ganz großen Themen seine große Natürlichkeit - und ebensolchen Charme. Christian Keul liefert einmal mit einem Auszug aus "A whiter shade of pale" einen frischen modernen Bezug, ansonsten passt er verschiedene klassische Orgelmotive ins Stück ein.

Man geht davon aus, dass Judas für 30 Silberlinge Jesus an die Hohepriester verkaufte. Nur über sein Motiv ist nichts Brauchbares überliefert. Das Stück blickt gleichsam auf die Grundlagen der Tat: Habgier, Zweifel am Glauben, am Messias oder vielleicht Enttäuschung? Interessant sind die Aspekte, die sich aus Judas' Blick auf Jesus ergeben. "Er konnte hinter die Dinge schauen", sagt er einmal, und "jeder wollte zurück zum Glauben, ganz sicher sein." Zumindest in der Weihnachtszeit konnte man diesen Eindruck haben, es ist einer von einigen modernen Aspekten, die die Autorin ganz unauffällig einfließen lässt. Insofern ist dieser Judas ein heutiger Mensch, der sich heutige Gedanken macht und Fragen stellt. Und die Zuhörer zu kritischer Distanz ermuntert: "Versuchen Sie nicht, etwas zu begreifen", obwohl das natürlich alle wollen. Judas lässt Jesus in ganz alltäglichem Licht erscheinen ("Ich hätte als Führer mehr von ihm erwartet"), und im Nu versetzt man sich in die von Thomas farbig geschilderte jeweilige Szene hinein und verspürt ein merkwürdig authentisches Gefühl. Und er schafft den glaubhaften Eindruck, dass dieser Judas zwar sehr greifbare Motive hatte ("Ich wollte zu den Herrschenden gehören"), aber nicht irgendein Gauner war, sondern ein wahrer Jünger, dessen Glaube eben erschüttert wurde.

Der größte Reiz des Stücks liegt in der einleuchtenden Schilderung der ja nur überlieferten Umstände als höchst widersprüchliches aber realistisches Szenarium - das die Zeitgenossen heftig verwirrt haben dürfte. Überaus anregend finden das auch die hingerissenen Zuschauer und schenken den Darstellern drei "Vorhänge", die sie für dieses kraftvolle Stimulans wirklich verdient haben."

(Gießener Anzeiger)

 

"„Tauscht jemand seinen Namen mit mir?“ Die Frage scheint überflüssig, wenn man Judas heißt. Oder ein Judas ist. Und schon gar nicht an einem Ort wie der evangelischen Pankratiuskapelle, wo das Stück des Stadttheaters Premiere hatte. Judas ist eben nicht einfach ein Vorname, sondern das Symbolwort für Verräter. Seitdem dieser Jünger Geld angenommen hat, um seinen Anführer Jesus Christus mit einem Kuss zu verraten. (...)

Über die Figur Judas haben viele nachgedacht. Die flämische Autorin Lot Vekemans hat es auf das menschliche Maß heruntergebrochen. In ihrem Monolog begegnet uns nicht das Verrätermonstrum, sondern der enttäuschte Anhänger eines Anführers, der das Zeug zum König der Juden hatte. Aber am Ende, beim letzten Weg nach Jerusalem, immer verzagter und kleinlauter wurde. „Warum hat er der Prophezeiung von Jesaja geglaubt? Warum hat er sich nicht gewehrt?“ Judas hadert mit dem Verlauf der Geschichte. Und er nimmt die Schuld auf sich, begeht in diesem Theaterstück Selbstmord. (...)

Regie führt der Schauspieler und Musiker (Hä? Der Säzzer) Christian Lugerth, Darsteller ist Pascal Thomas, der in Christian Keul an der Orgel einen Anspielpartner hat. Die meiste Zeit über ist der Kirchenraum erhellt, nur in besonderen Momenten wird mit fokussierendem Licht inszeniert, etwa auf der Empore beim Segengestus oder vor dem Altar mit Handscheinwerfer unterm kapuzenbedeckten Gesicht.

55 Minuten Konzentration auf einen komplexen Text, den Thomas mit großer Natürlichkeit spielt, dabei immer wieder die Zuschauer direkt anschaut und einbeziehend. Wer war hier unehrlich und hat seinen Eintritt nicht bezahlt? Freiwillig meldet sich niemand.

Das Premierenpublikum applaudierte begeistert und diskutierte im Anschluss heftig weiter. So soll Theater sein: Denkanstöße geben."

(Wetzlarer Zeitung / mittelhessen.de)