KRITIKEN

KURZE INTERVIEWS MIT FIESEN MÃNNERN

"Es beginnt mit Pferdemist. (Die Schauspieler sprechen von Pferdescheiße! gez: der Säzzer!) So jedenfalls kommentiert einer der Schauspieler in »Kurze Interviews mit fiesen Männern« die Tiraden seiner Geschlechtsgenossen. Mist gebaut und Mist erlebt haben alle. Der Penis spricht. Er erzählt, warum ihn Frauen anmachen, was er von ihren Leibern erwartet, warum ihn sogar die kleinen roten Pickel, die nach dem Rasieren weiblicher Beine zu sehen sind, erregen. Der Träger des Körperteils lässt sich von ihm durch die Betten treiben, auf der Suche nach dem nächsten sexuellen Kick. Doch wenn es ernst wird mit der Beziehung und die Frau »erobert« ist, dann ergreift der Jäger die Flucht und schaltet auf »Schubumkehr«.

Es ist nur eines der vielen Klischees und psychologischen Deformationen, die Christian Lugerth in seiner Inszenierung in der taT-Studiobühne vorführt. Die Theaterfassung von David Foster Wallace’ 1999 erschienenem Erzählband »Kurze Interviews mit fiesen Männern« hat er für die Gießener Bühne adaptiert. Klug beschränkt er sich auf nur drei Typen der im Buch 18 fiktiven Interviews und bettet sie stimmig ein in eine Art archetypische Vater-Sohn-Konstellation. Doch Interviews im eigentlichen Sinne sind es nicht, die die drei egozentrischen Männer – lustvoll gespielt von Sebastian Songin, Harald Schneider und David Moorbach – vortragen. (...) Um des Mannes bestes Stück geht es mehr oder weniger unentwegt. Die Männer singen wie Monty Python nach der Samenspende voller verzweifeltem Stolz »Every sperm is useful«, schließlich müssen sie sich selbst vergewissern, wie wichtig sie doch sind. Der Geschlechtsakt wird so zum national bedeutsamen Akt, der Mann zum Schöpfer, den nur sein orgastischer Ruf »Sieg für die Kräfte der demokratischen Freiheit« aus dem Konzept bringen kann. Männer demonstrieren Macht, doch hinter ihren Fassaden bröckelt es längst. Was macht einen guten Liebhaber aus? Darf ein Vater seinen Sohn verachten, weil der die attraktive Ehefrau zum Muttertier gemacht hat? Welche Folgen hat sexueller Missbrauch und liegt in dem schrecklichen Erlebnis vielleicht sogar die zynische Chance, im Sinne eines Holocaust-Überlebenden innere Stärke zu erlangen? Darum kreisen ihre Gedanken, die sie in schonungsloser Ehrlichkeit beichten.

Nicht nur weil Lukas Noll die Bühne mit Liegen, Ambulanzvorhängen, Rollstuhl und Infusionsständern ausstattet, sondern auch weil Wilfried Weyl mit Spritze oder Beruhigungssaft immer wieder als stummer Pfleger eingreift, wenn die Herrschaften außer Kontrolle geraten, fühlt man sich als Zuschauer wie in einer psychiatrischen Heilanstalt. Weyl, im echten Leben früher Chefkrankenpfleger der JVA Buseck (Butzbach, liebe Frau Schepp, Butzbach! gez: der weinende Säzzer!), kennt sich eben aus mit bösen Jungs. Als Einziger auf der Bühne scheint er in sich zu ruhen, kein psychotischer Männercharakter zu sein. Böse Zungen könnten allerdings behaupten, dass dieser Eindruck vielleicht nur daran liegt, dass er durchgängig schweigt. (...)

Was die drei Männer erzählen, erinnert an psychologische Fallstudienberichte. Sex als Leistungssport, der Penis als Machtsymbol, die Verachtung des Vaters gegenüber dem als Konkurrent wahrgenommenen Sohn – das alles zeigt, dass diese ach so fiesen Männer in Wahrheit arme Würstchen sind. Dass dies wohl auch für die Machtmenschen dieser Welt gilt, die glauben, als Präsident Frauen zwischen die Beine greifen oder als Filmbosse begrabschen zu dürfen, müsste man sich allerdings dazudenken. Denn die drei fiesen Männer im taT sind im Grunde machtlos – wirken eher wie Opfer, denn als Täter.

Drei überzeugend agierende Darsteller – allen voran Harald Schneider, der die eifersüchtige Tirade des Vaters zum Ereignis macht, das klinische Setting, die deftigen Worte, die Vater-Sohn-Geschichte als roter Faden: All das macht Lugerths Fassung der »Kurzen Interviews mit fiesen Männern« zu einem durchaus vergnüglichen Erlebnis, das die ermüdenden Längen der Originalvorlage hinter sich lässt und zum Nachdenken anregt. (...)"

(Karola Schepp, 03.11.2018, Gießener Allgemeine Zeitung)

 

"Zum zehn­ten Mal hat sich im Sep­tem­ber der To­des­tag (Suizid!! gez: der Säzzer!) von Da­vid Fos­ter Wal­la­ce und da­mit ei­nes der be­deu­tend­sten zeit­ge­nös­si­schen Schrift­stel­ler ge­jährt. Mit der In­sze­nie­rung „Kur­ze In­ter­views mit fie­sen Män­nern“ wen­det sich das Stadt­thea­ter nun dem Werk des US-Ame­ri­ka­ners zu. Am Don­ners­tag hat­te das Stück im taT Pre­mie­re.

Rund 90 Mi­nu­ten dau­ert der Thea­ter­abend von Re­gis­seur Chris­ti­an Lu­gerth, der sich be­müht, den 1999 im Ori­gi­nal er­schie­ne­nen gleich­na­mi­gen Er­zähl­band zu dra­ma­ti­sie­ren. Im Er­geb­nis sieht das so aus: Über wei­te Stre­cken des Abends sit­zen die drei Schau­spie­ler Se­bas­ti­an Son­gin, Ha­rald Schnei­der und Da­vid Moor­bach auf drei Po­de­sten. Im Hin­ter­grund hat Büh­nen­bild­ner Lu­kas Noll ei­ne Art Kran­ken­haus­op­tik ge­schaf­fen, durch die Wil­fried We­yl als stum­mer Pfle­ger tourt. Spra­che steht im Zen­trum. (...)

Doch auch die gu­ten Leis­tun­gen der Schau­spie­ler kön­nen nicht da­rü­ber hin­weg­täu­schen, dass die In­sze­nie­rung über wei­te Stre­cken miss­lun­gen ist. Zu­nächst wird wie­der ein­mal deut­lich, dass die Dra­ma­ti­sie­rung von Er­zähl­tex­ten wie eben Kurz­ge­schich­ten we­nig sinn­voll ist. Ei­ne Aus­nah­me ent­steht, wenn ein Text durch die Dra­ma­ti­sie­rung viel­leicht zu­sätz­li­che Tie­fe ge­winnt. Aber In­sze­nie­run­gen wie je­ne im taT, bei der Schau­spie­ler die meis­te Zeit im Sit­zen Tex­te auf­sa­gen, er­ge­ben eben kei­nen Sinn, weil der Gat­tungs­wech­sel über­haupt kei­nen künst­le­ri­schen Ge­winn bringt.

Da­mit ist ei­ne gro­ße Schwä­che der In­sze­nie­rung an­ge­spro­chen, die eher wie ei­ne Le­sung wirkt. Da­ran än­dert auch die durch den Pfle­ger be­weg­te Kran­ken­haus­at­mo­sphä­re nichts, die oh­ne­hin mit der Vor­la­ge von Wal­la­ce so gar nichts zu tun hat. Schlim­mer noch: Durch die Ver­or­tung des Tex­tes in ei­ner Kli­nik wer­den die Ge­schich­ten des Schrift­stel­lers ver­armt, ver­frem­det und ih­rer Tie­fe be­raubt.(...)

Auf der Stu­dio­büh­ne wird das Werk prak­tisch völ­lig ent­kernt und aufs Kau­zi­ge und An­ek­do­ti­sche re­du­ziert. Wer sich wirk­lich mit den ge­nia­len Er­zäh­lun­gen die­ses en­ga­gier­ten Au­tors be­fas­sen will, der greift bes­ser zum Er­zähl­band."

(Ste­phan Scholz, 03.11.2018, Gießener Anzeiger)

 

"Na, als vergnüglichen Abend kann man das nicht bezeichnen - aber wir sind ja auch nicht zum Spaß auf der Welt, sondern neigen immer mal wieder zur intellektuellen Schwerlast. Zum Glück ja nicht ständig. Aber man bekommt ein Gefühl dafür, wieso bei diesen messerscharf vernichtenden Gedanken ein Suizid das Positivste des Negativen sein kann. Schwere Kost also, die dann doch noch mit mehreren Gläsern Wein verdaut werden musste (...)

Gute Parts aus dem sicherlich viel ausführlicherem Material habt ihr ausgewählt, und die drei zentralen Monologe waren äußerst aufwühlend. Tolle Schauspieler, vor allem die unheimliche Präsenz des alten Mannes verfolgt mich noch bis jetzt, und etliche Zuschauer waren entweder zu blöd, wahrscheinlich aber eher so bedroht, dass sie in abwehrendes Gekicher und Schenkelklopfen verfielen. Das war dann aber auch schon das Einzige, was ich an diesem Abend kritisieren kann, ansonsten: schmerzhaft begeistert ! (...)"

(aus der Zuschrift vom einem, dem Fiese Männer und DFW nicht ganz fremd sind)

 

Frühkritik HR 2

 

Und ein FREIES RADIO (PS: auf eine Demo vor dem taT freue ich mich)

JUDAS

"Regisseur Christian Lugerth inszeniert für das Stadttheater, in Zusammenarbeit mit der evangelischen Stadtkirchenarbeit und dem Spielzeitmotto »Theater trifft Stadt« entsprechend, den Monolog nicht auf einer Bühne, sondern in der Pankratiuskirche. Das ist nur konsequent, denn schließlich gäbe es auch dieses Gotteshaus nicht, wenn Judas Jesus nicht den Hohepriestern ausgeliefert und so sein Schicksal erfüllt hätte. Weil Judas zum Verräter wurde, konnte Jesus zum Erlöser werden und das Christentum entstehen.

Schauspieler Pascal Thomas verkörpert diesen Judas in all seinen Facetten. Er zeigt ihn als kopfgesteuerten Zweifler und selbstbewußten Machertyp. Er betreibt Imagepflege in eigener Sache, aber ohne sein Vergehen abzustreiten. (...) Knapp eine Stunde lang spricht Pascal Thomas als Judas im zeitlosen schwarzen Anzug und weißem Hemd das Publikum direkt an. Er setzt sich frech auf den Altar, spricht mit klaren, unverschnörkelten Worten von der Empore und der Kanzel und die Zuschauer hängen an seinen Lippen. Er schaut jedem Einzelnen in der Kapelle in die Augen, auch um herauszufinden, wer an diesem Abend selbst zum Betrüger geworden ist, weil er keine Eintrittskarte gekauft hat. Jeder kann zum Verräter werden, ist seine Botschaft. Aber ausgerechnet er, Judas, ist es in einem besonders folgenschweren Fall geworden und hat damit die Schuld der Welt und der Menschheit auf sich geladen. War es sein unausweichliches Schicksal oder seine bewußte Entscheidung? Und hat nicht gerade erst der Zweifler Judas dazu beigetragen, daß die Christen Erlösung erfahren und das Christentum zur Weltreligion entwickeln konnten. Die Zuschauer sind angehalten, sich darüber ihre eigenen Gedanken zu machen. Lot Vekemans »Judas« setzt einen Denkprozeß in Gang. Und gerade darin liegt die Kraft dieses Monologs. (...)

Christian Lugerth nutzt mit seiner »Judas«-Inszenierung den besonderen Ort Kirche klug. Er bezieht zwar den gesamten Kirchenraum mit ein, konzentriert sich aber dennoch fast ausschließlich auf das gesprochene Wort. Daß von der Orgelempore auch schon mal Beerdigungslieder wie »So nimm denn meine Hände« erklingen, ist eine sinnvolle, zum Glück aber nicht noch weiter ausgedehnte Ergänzung. Theaternebel hinter dem Altar oder Variationen in der Beleuchtung sind ebenfalls sehr sparsam eingesetzt. Schließlich kommt es in diesem Monolog in erster Linie auf das Wort an – und dem verschafft Schauspieler Pascal Thomas große Nachdrücklichkeit. Das Premierenpublikum honoriert es mit lang anhaltendem Applaus."

(Gießener Allgemeine)

 

"(...) Pascal Thomas räumte mit seinem intensiven Spiel voll ab. Christian Keul lieferte versiert verschiedene stimmungsvolle Orgelmusiken und gab Stichworte. In einer Zusammenarbeit mit der evangelischen Stadtkirchenarbeit erschloss sich das Theater hier einen neuen Spielort, und siehe, es funktionierte gut. Es ist ja auch eine interessante Idee, den Erz- und Urverräter Judas Iskarioth mal selbst zu Worte kommen zu lassen und die Figur aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, ihn gleichsam als Zeitzeugen reden zu lassen.

Christian Lugerths Inszenierung (Dramaturgie Monika Kosik) bespielt zum einen den Raum und nutzt seine begrenzten dramatischen Möglichkeiten klug, aber nicht übertrieben aus. Und Pascal Thomas ist genau der Richtige, um die Sache quicklebendig zu realisieren. Mit sichtbar größter Spielfreude zischt er durchs Kirchenschiff, flitzt auf die Empore hinauf oder spricht von der Kanzel zum Volk. Dabei behält er selbst bei den ganz großen Themen seine große Natürlichkeit - und ebensolchen Charme. Christian Keul liefert einmal mit einem Auszug aus "A whiter shade of pale" einen frischen modernen Bezug, ansonsten passt er verschiedene klassische Orgelmotive ins Stück ein.

Man geht davon aus, dass Judas für 30 Silberlinge Jesus an die Hohepriester verkaufte. Nur über sein Motiv ist nichts Brauchbares überliefert. Das Stück blickt gleichsam auf die Grundlagen der Tat: Habgier, Zweifel am Glauben, am Messias oder vielleicht Enttäuschung? Interessant sind die Aspekte, die sich aus Judas' Blick auf Jesus ergeben. "Er konnte hinter die Dinge schauen", sagt er einmal, und "jeder wollte zurück zum Glauben, ganz sicher sein." Zumindest in der Weihnachtszeit konnte man diesen Eindruck haben, es ist einer von einigen modernen Aspekten, die die Autorin ganz unauffällig einfließen lässt. Insofern ist dieser Judas ein heutiger Mensch, der sich heutige Gedanken macht und Fragen stellt. Und die Zuhörer zu kritischer Distanz ermuntert: "Versuchen Sie nicht, etwas zu begreifen", obwohl das natürlich alle wollen. Judas lässt Jesus in ganz alltäglichem Licht erscheinen ("Ich hätte als Führer mehr von ihm erwartet"), und im Nu versetzt man sich in die von Thomas farbig geschilderte jeweilige Szene hinein und verspürt ein merkwürdig authentisches Gefühl. Und er schafft den glaubhaften Eindruck, dass dieser Judas zwar sehr greifbare Motive hatte ("Ich wollte zu den Herrschenden gehören"), aber nicht irgendein Gauner war, sondern ein wahrer Jünger, dessen Glaube eben erschüttert wurde.

Der größte Reiz des Stücks liegt in der einleuchtenden Schilderung der ja nur überlieferten Umstände als höchst widersprüchliches aber realistisches Szenarium - das die Zeitgenossen heftig verwirrt haben dürfte. Überaus anregend finden das auch die hingerissenen Zuschauer und schenken den Darstellern drei "Vorhänge", die sie für dieses kraftvolle Stimulans wirklich verdient haben."

(Gießener Anzeiger)

 

"„Tauscht jemand seinen Namen mit mir?“ Die Frage scheint überflüssig, wenn man Judas heißt. Oder ein Judas ist. Und schon gar nicht an einem Ort wie der evangelischen Pankratiuskapelle, wo das Stück des Stadttheaters Premiere hatte. Judas ist eben nicht einfach ein Vorname, sondern das Symbolwort für Verräter. Seitdem dieser Jünger Geld angenommen hat, um seinen Anführer Jesus Christus mit einem Kuss zu verraten. (...)

Über die Figur Judas haben viele nachgedacht. Die flämische Autorin Lot Vekemans hat es auf das menschliche Maß heruntergebrochen. In ihrem Monolog begegnet uns nicht das Verrätermonstrum, sondern der enttäuschte Anhänger eines Anführers, der das Zeug zum König der Juden hatte. Aber am Ende, beim letzten Weg nach Jerusalem, immer verzagter und kleinlauter wurde. „Warum hat er der Prophezeiung von Jesaja geglaubt? Warum hat er sich nicht gewehrt?“ Judas hadert mit dem Verlauf der Geschichte. Und er nimmt die Schuld auf sich, begeht in diesem Theaterstück Selbstmord. (...)

Regie führt der Schauspieler und Musiker (Hä? Der Säzzer) Christian Lugerth, Darsteller ist Pascal Thomas, der in Christian Keul an der Orgel einen Anspielpartner hat. Die meiste Zeit über ist der Kirchenraum erhellt, nur in besonderen Momenten wird mit fokussierendem Licht inszeniert, etwa auf der Empore beim Segengestus oder vor dem Altar mit Handscheinwerfer unterm kapuzenbedeckten Gesicht.

55 Minuten Konzentration auf einen komplexen Text, den Thomas mit großer Natürlichkeit spielt, dabei immer wieder die Zuschauer direkt anschaut und einbeziehend. Wer war hier unehrlich und hat seinen Eintritt nicht bezahlt? Freiwillig meldet sich niemand.

Das Premierenpublikum applaudierte begeistert und diskutierte im Anschluss heftig weiter. So soll Theater sein: Denkanstöße geben."

(Wetzlarer Zeitung / mittelhessen.de)

JIM KNOPF UND LUKAS DER LOKOMOTIVFÜHRER

"Bunt ist sie, die Welt von Jim Knopf und seinem Kumpel Lukas. Sehr bunt. Den Kindern sei Dank, die auf Einladung des Theaters für Niedersachsen die Vorzeichnungen von TfN - Austatter Hannes Neumaier mit mutigem Griff ins volle Farbspektrum ausgefüllt haben.

Der kunterbunte Königspalast auf Lummerland, der von lustigen Tieren behauste 1000-Wunderwald oder die rauchende Vulkanlandschaft sorgen dafür, daß die erzwungene Weltreise von Jim und Lukas auf ihrer Emma ein pralles lustiges Gesicht bekommt.

Regisseur Christian Lugerth hat die berühmte Geschichte nach dem Buch von Michael Ende stark zusammengekürzt, damit sie in die 90 Minuten Aufführungszeit (samt Pause) hineinpasst und für quirlige Kinder ab fünf Jahren (!) genießbar bleibt. (...) Und Regisseur Lugerth zieht eine Menge Register, um trotz viel Text und wenig Action vor der bunten Kulisse für gute Unterhaltung zu sorgen. Alles, was gesagt wird, lässt er auch körperlich darstellen. Slapstick ist gefragt. Das bringt Bewegung auf die Bühne. Und Lacher im jungen Publikum. (...) Die Musik von Christian Keul wiederum schlägt mit "Eine Insel mit zwei Bergen" nicht nur den Bogen zur Augsburger Puppenkiste, sondern sorgt mit Cha-Cha-Cha, Charleston und Country auch noch für Schwung vor dem Vorhang.

Dort am Bühnenrand nämlich reisen Jim und Lukas von einem zum nächsten Ort, der derweil hinter dem Vorhang aufgebaut wird. Schön medial gelöst, wie Emma über die Wellen schippert oder in der Dunkelheit der Schnee fällt.

Neben all der optischen und schauspielerischen Farbe und manchem Knalleffekt vergessen Regisseur und Schauspieler nicht das Lied von Freundschaft, Mut, Hoffnung, aber auch Angst zu bedienen. Alles Gefühle, denen Jim und Lukas auf ihrer Reise begegnen. Und natürlich die dicke Emma, die mit viel Dampf und Licht Kinderherzen höher schlagen lässt."

(Hildesheimer Allgemeine)

 

"Wie gut, dass es das unverwüstliche Lied „Eine Insel mit zwei Bergen“ immer noch gibt. Die kindgerechte Lummerland-Hymne nahm auch diesmal alle Kinder in der Stadthalle mühelos in die Welt von Jim Knopf und Lokomotivführer Lukas mit und bescherte dem Ensemble des Theaters für Niedersachsen einen flotten Schlußapplaus in der voll besetzten Stadthalle.

Die Inszenierung in von Kindern entworfenen Kulissen war auch für die Jüngsten kein Problem. Regisseur Christian Lugerth und sein Team reduzieren die Geschichte auf das Nötigste und lassen die Darsteller mit ganz viel Körperkomik und Slapstick in ihre Rollen schlüpfen. So waren in nicht einmal 90 Minuten die Abenteuer zwischen Lummerland und dem Land Mandala erzählt. Und daß Jim Knopf inzwischen nicht mehr dunkelhäutig ist, sondern aussieht wie jeder x-beliebige Junge, daran hat sich das Publikum längst gewöhnt – oder hinterfragt es nicht.

Tim Czerwonatis spielt ihn mit Basecap und jugendlichem Vorwitz ganz flott und läßt sich mit Partner Dennis Junge (Lukas) auch von Technik-Ausfällen nicht irritieren. (PS: So was liest ein Regisseur nicht so gerne! Gelle!) Der kleine Ping Pong wird als freche Puppe mit Zopf und Zähnchen ebenso schnell zum Liebling der Kinder wie der unglückliche Halbdrache Nepomuk. Die anderen Figuren sind bunt und comicartig angelegt. Es wurde bis zum letzten „Tut-Tut“ des Ensembles mitgefiebert, als es darum ging, Prinzessin Li Si zu befreien, und die Miniaturausgaben von Neu-Lummerland und Lokomotivenkind Molly wurden von den Kindern sofort ins Herz geschlossen. Das war ein Weihnachtsmärchen nach Maß."

(Braunschweiger Zeitung)

 

"(...) Es ist aber auch wirklich spannend,  was das Theater für Niedersachsen (...) seinem Publikum zeigt. Regisseur Christian Lugerth und Ausstatter Hannes Neumaier haben sich offenbar viele Gedanken gemacht um eine zeitgemäße Interpretation der Geschichte von Michael Ende, auch wenn diese schon seit 50 Jahren die Kinder verzaubert. Das Theater hat bewußt auf das Schwarzschminken Jim Knopfs verzichtet. Auch die Schüler der Drachenschule sind nicht mehr schablonenhaft als Kinder aus verschiedenen Kontinenten gekennzeichnet, sondern haben viel mehr ihre persönlichen Eigenarten. Und weil China in der heutigen Wahrnehmung viel mehr ist als ein exotisches Phantasieland, wird es hier in Mandala umbenannt. (...)"

(Dewezet)

FLÜCHTEN ODER STANDHALTEN

»Jeder Mensch braucht äußerliche Stärkung, um seelisch und körperlich Gleichgewicht zu erreichen.« So tönt es aus dem Lautsprecher. Auf der Bühne: eine Leinwand – ein Trümmerfeld – vom Krieg verwüstet. »Wer nicht leiden will, muss hassen!« Davon war der Psychoanalytiker, Psychosomatiker, Mediziner und Sozialphilosoph Horst Eberhard Richter überzeugt. Wie ein roter Faden durchzieht die Suche nach einem neuen Umgang mit dem Leiden sein Werk, das weit über Gießen hinaus strahlte. Mit einer facettenreichen Collage setzen nun, sechs Jahre nach seinem Tod, Christian Lugerth als Dramaturg und Matthias Schubert als Co-Autor, dem Erfinder des »Gießen-Tests« ein Denkmal unter dem Titel »Flüchten oder Standhalten«. (...) Das Stück selbst wird zum Gießen-Test. Während »Horst« auf einem Stuhl über allen thront, äußern sich Ehefrau Bergrun, die ihm widerwillig nach Gießen folgt, und zwei der drei Kinder. Die Methode der Selbst- und Fremdeinschätzung einer Gruppe oder Einzelner wird zur Blaupause dieses Lebens-Stücks. Nach der Gefangenschaft wieder in der Heimatstadt Berlin erfährt er, dass die Eltern, die auf seinen Rat die Stadt verließen, auf dem Land von betrunkenen russischen Soldaten ermordet wurden. Er lernt Bergrun kennen, mit der er bis zu seinem Tod 2011 sein Leben teilt. Gießen sei ihr nie zur Heimat geworden, hört man die betagte Dame sagen. Auf der Bühne ist sie stets an der Seite ihres Mannes, geht mit ihm mal im Zentrum des Geschehens, mal an der Seite stehend, durch die Jahrzehnte bewegter deutscher Geschichte. Durch die »Aufbruchsstimmung« der 50er Jahre in die aufrührerischen 60er Jahre, in denen Richter den Lehrstuhl der Psychosomatik, als zweite Wahl, annimmt, während Bergrun unter »Umzugsdepressionen« leidet. In einem Glaskasten zitiert Richter sich selbst. »Wir können die Gesellschaft nur verändern, wenn wir uns selbst verändern.« Der Gießen-Test, dem sich auf der Bühne die Familie Richter unterziehen muss, wird zum Höhepunkt. Die 70er und 80er Jahre brechen an und der mittlerweile erfolgreiche Buchautor wird zu einer Ikone der Friedensbewegung – singt mit Iring Fetscher, Margarete Mitscherlich und Alice Schwarzer »Das weiche Wasser bricht den Stein.« »Gutmensch« ist nur eines der Siegel, die ihm auch auf der Bühne verliehen werden. Zutiefst verwoben war Richter mit Gießen. Im Projekt »Eulenkopf« engagiert er sich im sozialen Brennpunkt, während die RAF sich radikalisiert und darin eine »Stabilisierung des Systems« sieht. Das Stück macht als persönlicher Streifzug diese Widersprüchlichkeiten sichtbar. (...)

(Gießener Allgemeine)

 

Liebe Redaktion.

In Ihre Besprechung des Richter - Projekts "Flüchten oder Standhalten" haben sich doch einige gravierende Fehler eingeschlichen.

Zum einen habe ich den Abend als Regisseur betreut und nicht als Dramaturg. Dazu habe ich mit dem Dramaturgen Mathias Schubert zusammen die Spielvorlage verfasst.

Zum anderen hat - wie es Ihre Bildunterschrift vermuten lässt - nicht Christian Keul den Sohn gespielt, sondern Maximilian Schmidt. Christian Keul war für die musikalische Einrichtung zuständig.

Und zu guter Letzt heißt das von Ihnen in Überschrift und Text zitierte Lied von Rio Reiser nicht "Der Krieg ist nicht zu Ende", sondern "Der Krieg, er ist nicht tot, er schläft nur!"

Ich bitte Sie höflichst dies zu berichtigen.

Mit liebem Gruß

Christian Lugerth (nach Lesen obiger Kritik per Mail)

 

"Der Krieg ist nicht tot, er schläft nur". Dieses todtraurige Lied von Rio Reiser erklingt am Ende der szenischen Produktion "Flüchten oder Standhalten" über das Werk und das Vermächtnis von Horst-Eberhard Richter. Auch am Anfang des Theaterabends steht der Krieg, Bilder von 1945 aus dem zerstörten Berlin. Das hinterlässt eine gedrückte Stimmung, weil es nur allzu zu gut in die gefährdete politische Lage der Gegenwart passt. Euphorie brach deshalb am Ende des Premierenabends in der Studiobühne taT nicht aus. Gleichwohl lang anhaltender, anerkennender Applaus für Christian Lugerth (Inszenierung) und Matthias Schubert (Dramaturgie) sowie die vier Darsteller Marlene Sophie Haagen, Barbara Stollhans, Ulrich Cyran und Maximilian Schmidt. Es ist ein mutiges Vorhaben, das umfangreiche Lebenswerk dieses agilen, ambitionierten Mannes in einem 80-Minuten-Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Arzt, Psychoanalytiker, Begründer des psychosomatischen Instituts - die Arbeit Richters ist eng mit Gießen verbunden. Hier wirkte er als Professor, hier engagierte er sich in sozialen Projekten wie am Eulenkopf. Zugleich prägte er wie kaum ein anderer die deutsche Friedensbewegung. "Das Fehlende ist eine Tatsache, dessen wir uns bewusst sind", sagt deshalb gleich zu Beginn die Stimme von Christian Lugerth aus dem Off." (...) Unbekannte Bilder aus dem Gießen der 50er und 60er Jahre vermitteln einen Eindruck der Stadt, wie sie damals ausgesehen hat. Die gelungenen Videoprojektionen und Toneinspielungen sind Antonia Alessia Virginia Beeskow zu verdanken. Das Bühnenbild mit Stühlen, Tischen, und Bänken, die flexibel einsetzbar sind als Einrichtung für ein Wohnzimmer, einen Hörsaal oder ein Analytikerzimmer hat sich Denise Schneider einfallen lassen. Insgesamt haben Lugerth und Schubert 17 Szenen zusammengestellt. Nicht fehlen darf dabei der "Gießen-Test", der dem Stück auch den Untertitel gibt: Selbstbild-Fremdbild, wie weit können diese doch auseinanderliegen. Die Schauspieler bringen dieses Phänomen unter einer großen Zahlenskala deutlich zum Ausdruck. Die geliebte Schweizer Bergwelt ist auf der Bühne verkleinert wiederzufinden als ein Holzturm mit Leiter, hier rezitiert Richter Erinnerungen, das Matterhorn ist im Hintergrund auf einem Lichtbild zu sehen, Noch eine andere Szene: Boxend bringen sich die jungen Leute einige wichtige Aussagen aus dem Klassiker "Die Gruppe" näher. Amüsant und lehrreich erweist sich "Der SPD-Flüsterer": Brandt, Schmidt und Lafontaine auf der Couch. Allzu turbulent wird es beim Versuch "dem Neoliberalismus zu trotzen"."Flüchten oder Standhalten" ist im Grund eine Werkschau aus den 50 ungemein kreativen Jahren Richters in Gießen, von denen nicht nur seine Bücher zeugen, sondern auch Zeitungsartikel, Fernsehausschnitte und Berichte von Zeitgenossen.

(Gießener Anzeiger)

 

Es ist ein geradezu mutiges Vorhaben, das umfangreiche Lebenswerk dieses agilen und ambitionierten Mannes in einem 80-Minuten-Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Arzt, Psychoanalytiker, Begründer des psychosomatischen Instituts - die Arbeit Richters ist eng mit Gießen verbunden. Hier wirkte er als Professor, hier engagierte er sich in sozialen Projekten. Zugleich prägte er die deutsche Friedensbewegung mit.

Zwei junge Leute stürmen auf die Bühne. Die junge Frau (lebhaft und präsent: Marlene-Sophie Haagen) liest die Lebensdaten von Horst-Eberhard Richter vor. Aufmerksam spielt der junge Maximilian Schmidt den Freund, Kommilitonen, Studenten. Eine riesige Bücherwand ist im Hintergrund auf der Leinwand zu sehen. "Die Gruppe", "Flüchten oder Standhalten", "Engagierte Analysen", um einige zu nennen. Zu hören sind in dieser ersten Szene auch Nachrufe von 2011/2012.

Gießens Ehrenbürger Horst-Eberhard Richter ist am 19. Dezember 2011 gestorben. Er wäre gern auf dem Alten Friedhof beerdigt worden. Die Stadt ließ sich viel Zeit mit der Genehmigung, ist im Programmheft zu lesen. Als sie erfolgte, hatte sich die Familie bereits für den Berliner Waldfriedhof entschieden. (...)

(Wetzlarer Neue Zeitung)

 

ANSICHTEN EINES CLOWNS

"Er könnte auch einfach eine der Schnapsdrosseln im Karneval sein, wie er da hereinstolpert, der Blick vernebelt unter der strohgelben Perücke, die Schritte unsicher, die Flasche griffbereit auf dem Podest, das Ivan Dentler im Komödianten - Theater reicht als Spielort für Heinrich Bölls Ansichten eines Clowns. Drei Stufen wie der klägliche Rest einer Showtreppe, ein enggezogener Raum, der die Egozentrik des Helden ebenso andeutet wie seine von gesellschaftlicher Norm, Bigotterie und Obrigkeit begrenzten Möglichkeiten.

Und Hans Schnier, dieser triste Clown, meint es ernst mit seiner Lebens- und Liebeserzählung auf der Bahnhofstreppe in Bonn, die das Theater Die Komödianten in einer von den Erben Heinrich Bölls autorisierten Monologfassung auf die Bühne bringt. Im Beisein des Sohnes René Böll, der nach der Premiere sichtlich angetan in den lang anhaltenden Schlußapplaus einfiel.

Regisseur Christian Lugerth und Ivan Dentler haben den 1963 erschienenen Roman über den Aussteiger Schnier (...) geschickt auf einige Schlüsselepisoden verdichtet. Und Ivan Dentler läßt die Geschichte dieses Clowns als Episodensammlung aus verschiedenen Perspektiven Revue passieren, eingespannt in eine Art Selbstbefragung: "Was bist Du eigentlich für ein Mensch? (...) Zwischen Einst und Jetzt flirrt der Roman, den Böll in einem einzigen erzählten Tag entfaltet; und in Lugerths schnörkellos realistischer Inszenierung verschwimmt Schniers Erleben mit seinen Puzzleteilchen zu verstörender Gleichzeitigkeit. (...) Die religiöse Enge, die Widersprüche und der Muff der Adenauerzeit, in der die Nazis bruchlos ihren Platz fanden, scheinen dabei weniger fern, als man glauben könnte. Und es liegt ein Rest von Aufbegehren darin, wie Dentler diesen ermatteten Widerspenstigen und unverbesserlich Liebesbekümmerten zeigt. Zu klein fürs tragische Endspiel, aber auch größer als die Trauer. Am Ende hat er vielleicht doch eine Aufgabe: "Ich bin ein Clown, ich sammle Augenblicke.""

(Kieler Nachrichten)

 

"Der Clown trägt eine gelbe Perücke und einen zerknitterten, schwarzen Frack, schwankt betrunken, stolpert auf den Treppenstufen und rappelt sich wieder auf. Nach einigen Momenten des umständlichen Herumhantierens könnte die Vorstellung eigentlich beginnen, doch, nein, die Blase drückt, der Künstler muss erst noch zur Toilette.

So beginnen die "Ansichten eines Clowns" in der Inszenierung von Christian Lugerth auf der taT-Studiobühne. Als der Roman von Heinrich Böll 1963 erschien, war dies in der jungen Bundesrepublik ein Skandal. Aus der Perspektive eines Außenseiters, eines Desillusionierten, prangerte das Buch die katholische Kirche und ihre verlogene Moral, die Verdrängung der Vergangenheit und eine restaurierte Gesellschaft an, in der die alten Nazis wieder fest im Sattel saßen. Nun ist die Generalabrechnung des verbitterten Clowns als Bühnenadaption zu erleben: In einem großen, anderthalbstündigen Monolog wütet Ivan Dentler als Hans Schnier gegen Gott und die Welt - eine bewundernswerte Leistung. (...)

Auf einem Treppenpodest mit Gitarre, Schnapsflasche und Hut erzählt er von seiner großen Liebe Marie, mit der er einige Jahre ohne Trauschein zusammenlebte und die ihn schließlich verlassen hat, um als gute Katholikin endlich einen Katholiken zu heiraten. Er erzählt von seinen reichen Eltern - glühende Nazis - aus einer Bonner Braunkohle-Dynastie, die in den letzten Kriegstagen die Tochter Henriette in den sicheren Flakhelfer-Tod haben ziehen lassen. Und in zwanghaft wiederkehrenden Einschüben arbeitet er sich an der katholischen Kirche ab. Dazu erklingen in kurzen Einspielungen Militär-, Zirkus- und Karnevalsmärsche, brausende Orgelklänge und Glockengeläut. So rundet sich das Bild.

Auch wenn gerade für jüngere Besucher die Adenauer-Ära weit weg sein mag und manche vielleicht noch nie etwas von Böll gelesen haben, so zeigte doch der überaus herzliche Schlussapplaus, dass Dentler sein Publikum zu bannen versteht. Vieles bei Böll erscheint heute antiquiert, überholt, aber damals war es eine nötige Stimme. Das macht dieser Theaterabend deutlich."

(Gießener Anzeiger)

 

"Auch wenn Ivan Dentler zu Beginn seines Auftritts im Theaterstudio die Erstausgabe von Heinrich Bölls »Ansichten eines Clowns« zerreißt: Sein gleichnamiges Monodrama tut dem Werk des Literaturnobelpreisträgers keine Gewalt an. Ganz im Gegenteil. Es ist eine Hommage an einen Roman, der zwar von scheinbar überholten Themen erzählt, aber mit seiner Frage nach dem Wesen von Liebe und Freiheit auch heute noch Weltliteratur ist. Das Premierenpublikum war erkennbar begeistert. Der Gießener Regisseur Christian Lugerth und Schauspieler Ivan Dentler von der Komödie in Kiel haben Bölls Roman zur Episodensammlung verdichtet und daraus einen eineinhalbstündigen Theaterabend gemacht: intensiv und auf dem Punkt. (...)

Lugerth und Dentler haben Personal und Episoden des Romans forsch gestrichen und so die Essenz des Textes geschaffen. Es tut gut zu sehen, wie sehr die beiden der erzählerischen Kraft Bölls vertrauen. Auch wenn sich heute niemand mehr gegen solch engstirnige Moralvorstellungen oder den Einfluss der Kirche im Privaten auflehnen muss – Hans Schniers Kampf um Eigenständigkeit und Freiheit bleibt von zentraler Bedeutung. Was bin ich eigentlich für ein Mensch? Diese Frage schwingt mit – und sie stellt sich auch seinem Publikum im echten Leben, in dem es noch immer die Angepassten leichter haben als die Individualisten, in dem aber zugleich das Hohelied der Selbstverwirklichung gesungen wird."

(Gießener Allgemeine)

 

"(...) Grandios Ivan Dentler, der in einem 90minütigen Monolog - nur unterbrochen von gelegentlichen Geräusch- und Musikeinspielungen oder der Stimme Maries aus dem Off - nicht nur den Abstieg des Hans Schnier miterlebbar macht, sondern auch allen anderen Personen, dem Vater, der Mutter, Kinkel, Fredebeul, dem Prälaten Sommerlath, Marie eine jeweils eigene und unverwechselbare Stimme gibt. Mit großer Deutlichkeit, aber ohne jede Überzeichnung bleibt der Schauspieler, sich hinter den Text zurücknehmend, obwohl sehr dicht am Publikum, immer ganz bei sich, agiert eher verhalten und introvertiert als nach außen gekehrt, und läßt die Böllsche Sprache damit umso stärker wirken, die präzise, dabei schnörkellos und unaufgeregt die Spuren von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit nachzeichnet.
Gelungen die Einfälle der Regie, nicht nur die Bühne, sondern das ganze kleine Theater zu bespielen, auch Drastisches nicht zu scheuen, überzeugend die Inszenierung der Dialoge, wenn Schnier als Kinkel mit sich selbst als der gelben Perücke, die er in der rechten Hand weit von sich streckt, Zwiesprache hält, oder bei der Auseinandersetzung mit dem Vater, wobei diesmal der es ist, für den die Clownspuppe steht. Wenn Hans in einem Ausbruch von Wut und Verzweiflung am Ende auf die Puppe losgeht, bleibt es der Deutung des Zuschauers überlassen, ob sich die Aggressionen gegen den Vater richten oder die eigene, selbstgewählte Rolle. Die clownesken Einlagen mal komisch und zum Lachen, meist eher ungelenk und traurig, besonders dann, wenn sich der Protagonist in Dingen versucht, die er eigentlich nicht kann, wie Jonglieren oder Gitarrespielen.(...) Ivan Dentler ist gelungen, was selten gelingt: ein Publikum über einen ganzen Theaterabend vollständig in seinen Bann zu ziehen. Und so waren die stehenden Ovationen am Schluß die logische Folge eines faszinierenden und facettenreichen Spiels. (...) Ganz großes Theater auf kleiner Bühne!!!

(schattenblick)

 

 

"Einige Gedankensplitter zu der Inszenierung von Christian Lugerth bei den „Komödianten“ in Kiel:

Christian Lugerth ist es mit seiner Inszenierung gelungen, die wesentlichen Aspekte des komplexen Romans herauszuarbeiten und durch die geniale Darbietung von Ivan Dentler wurden auch die physisch abwesenden Personen des Romans anwesend und sichtbar.

Es ist eine großartige Leistung als einziger Schauspieler ein ganzes Stück alleine zu bestreiten und so intensiv zu spielen, dass keine Längen entstehen und die abwesenden Personen nicht vermisst wurden, sondern vielleicht sogar in Ihrer Abwesenheit deutlicher wurden, als wenn sie wirklich anwesend gewesen wären.

Auch die Zeitlosigkeit des Stoffes, der ja immerhin über 50 Jahre alt ist, wurde hervorragend transponiert.

Eine rundum gelungene Aufführung. Auch das karge, düstere Bühnenbild, die Requisiten, Kostüm, Tonbandeinspielungen und Maske überzeugten voll und ganz.

Es wäre wünschenswert, wenn diese Aufführung auch an anderen Orten gezeigt werden könnte."

(Von René Böll, per Mail im Februar 2017)

 

 

„Man kann Stück und Inszenierung vorwerfen, sie dresche leeres Stroh, weil die Kämpfe der sechziger Jahre, speziell in ihrer religiösen Variante, längst überholte Vergangenheit seien. Doch obwohl die Bühnenfassung von Heinrich Bölls Roman die eminent politischen Elemente eher ausblendet, blitzt hinter der scheinbar so ganz privaten Tragödie Hans Schniers in freilich veränderter Form immer wieder eine Wirklichkeit auf, die auch in unserem ach so schönen nach-68er-Deutschland von Intoleranz, Engstirnigkeit und Rassismus geprägt ist. So gesehen lassen sich etwa in Frauke Petry und Björn Höcke ebenso Wiedergeburten von Bölls scheinheiligem Prälaten und der unbarmherzigen Nazimutter wie von Salafisten vom Schlage eines Pierre Vogel erkennen. (…) Ivan Dentler ist der traurige Clown Hans Schnier. Eine einzige Requisite, eine Clownspuppe, braucht er als Gegenüber, die er in einer besonders heftigen Auseinandersetzung schüttelt und würgt. Sonst aber misst er ruhelos die kleine Welt der Bühne aus, die zur Metapher seiner Gefangenschaft wird. Sehenswert, wie er blitzschnell vom Jammerlappen zum Wüterich mutiert, wie in stetem Wechsel sich Verzweiflung und Zorn, Hohn und Trauer auf seinem Gesicht und in seiner Körperhaltung abzeichnen. Eben noch der aufrichtige Kämpfer gegen Heuchelei und Bigotterie ist er gleich darauf ein Häufchen Elend.

Seinen Gegnern, den Prälaten, Priestern, hohen Beamten, Industriellen gibt er in seinen endlosen Tiraden in verzerrender, karikierender Form Gestalt und erlaubt ihnen doch ein Stück Authentizität und macht sie nicht vollends zu Pappkameraden, sondern lässt auch in ihrer Kümmerform Menschen aus Fleisch und Blut erkennen.

Nur an Marie, die verlorene Geliebte, wagt er sich nicht heran. Sie existiert lediglich als Stimme und Gesang von Sina Schulz und erscheint in seiner Erinnerung – ein schöner Regieeinfall – lediglich als Klagelied über eine entschwundene Vergangenheit und kaum noch geglaubtes Echo eines verlorenen Glücks.“

(hansen / munk kulturblog für Kiel)