KRITIKEN

Spielen Sie doch einfach was da steht

"Ach ja, Kulturpessimismus wäre angezeigt. Es gibt junge Menschen, die niemals einen wilden Waldmops in seiner natürlichen Umgebung gesehen haben, die mit dem Satz "früher war mehr Lametta" nichts anfangen können oder die es merkwürdig finden, dass ein Opa seinem Enkelkind ein Atomkraftwerk zu Weihnachten schenkt. Ach ja, die Zeiten ändern sich, Vicco von Bülow ist seit mehr als fünf Jahren tot, seine große Zeit liegt noch um einiges länger zurück.

Aber noch ist nicht alles verloren: Das Freiburger Wallgraben-Theater hält tapfer an einer Tradition fest, die in die Mitte der 1970er Jahre zurückreicht. Damals war es die erste deutschsprachige Schauspiel-Bühne, die Loriot-Sketche aufführen durfte – Heinz Meier, Mitbegründer des Privattheaters und Ensemblemitglied bei Loriot, sei Dank.

Heute kann sich das Publikum bei Regine Effinger und Hans Poeschl bedanken, die wissen, dass dieser Humor zeitlos ist. Loriots Vermögen, das Absurde in der Normalität in Szene zu setzen, ist nach wie vor grandios komisch, entlarvend ohne verletzend zu sein, albern ohne peinlich zu wirken.

"Spielen Sie doch einfach, was da steht", heißt das Programm – und das ist auch die Idee, von der sich Christian Lugerth leiten ließ. Der Regisseur hat Loriots Geschichten von womöglich aus der Zeit gefallenem Beiwerk befreit und sich auf den Kern, auf die zerbröselte zwischenmenschliche Kommunikation, das Aneinander-vorbei-Reden, konzentriert. Sinnfällig wird dies nicht nur im Titel des gut zweistündigen Abends, sondern auch im Bühnenbild auf der Kellerbühne: Das rot-samtene Loriot-Sofa steht als Vergewisserung am Bühnenrand, als Requisiten aber reichen ein paar schlichte Stühle und ein Gazevorhang, mal ein Tisch, mal eine Stele. Und natürlich ein Klavier.

An den Tasten sitzt Jacco Venhuis, der einzige Neuling auf der Wallgraben-Bühne an diesem Abend. Der ausgebildete Gesangspädagoge, Sänger und Logopäde spielt, aber er rezitiert auch und stellt dar. Die anderen Schauspieler sind bewährte Wallgraben-Kräfte: Regine Effinger, Hans Poeschl, Peter Haug-Lamersdorf, Matthias Happach und Natalia Herrera. Sie alle beherrschen die hohe Kunst, das Komische ernst und in perfektem Timing auf die Bühne zu bringen – ob als kurzsichtige Sekretärin, genervte Hausfrau, deren Mann einfach mal nichts tun will, Wahlplakate-Darsteller für alle Parteien, Journalist, dessen Frau Steinbock ist, Professor für die Umwandlung von Frauen in Kaninchen, Eiköchin mit Gefühl, Kunstpfeifer oder Benimmkursteilnehmer. Und das ist nur eine Auswahl. Die Szenen, Zitate und Sketche werden beinahe nahtlos aneinander geschnitten und wirken so wie aus einem Guss.

Dennoch schafft das Publikum häufig, sich schon für einzelne Szenen mit Applaus zu bedanken, und auch der Schlussbeifall ist lang und begeistert. Erleichtert ist zu konstatieren, dass für Kulturpessimismus gar kein Anlass besteht, so lange das Wallgraben-Team dem Ausnahmehumoristen Vicco von Bülow so einfühlsam ein Denkmal baut."

(Badische Zeitung)

LAHN DYLAN KREIS

"Einen mitreißenden, musikalisch energiereichen Auftritt absolvierte am Samstag "Der Lahn-Dylan-Kreis" auf der Bühne des ausverkauften taT. Christian Lugerths souveräne Synthese aus kundiger, erhellender Moderation und knackigem Blues bis Rock ging spürbar in jedes anwesende Bein. Heftig.

Cool in schlabbrige Anzüge mit losen Krawatten gekleidet, gingen Christian Lugerth (Gesang, Gitarre, perfekt sitzender Anzug, großartige rotschwarze Stiefeletten), Florian Neuber (Gitarre), Christian Keul (Keyboards), Volker Seidler (Schlagzeug, ansonsten Tonchef des Stadttheaters), Philipp Lampert (Bass) und als Gast Schauspieler Rainer Hustedt (Saxofon) kundig ans Werk. Nur das häufig eingeblendete rote Pufflicht hätte man getrost weglassen können.

Lugerth, ein ausgewiesener Dylankenner, präsentierte anlässlich des 75. Geburtstags des Musikers charakterisierende und nicht selten ironische, humorvolle Textausschnitte - die Autoren hatten sich zwar friedlich, doch mit einer gewissen heiteren Distanz zum Gegenstand und sich selbst geäußert. Das war immer wissenswert und unterhaltsam, in keiner Sekunde jedoch ehrerbietig.

Die Texte: Lugerth las Texte aus Klaus Theweleits Bob-Dylan-Lesebuch "How Does It Feel" (Andreas Langenbacher, Elke Heidenreich und Konrad Heitkamp) und aus Sam Shepards "Rolling Thunder Logbook". Und dann die Musik (darunter "Just Like A Woman", "Ring Them Bells", "Outlaw Blues"). Lugerth passt exzellent in das Quartett professioneller Musiker. Sein Gitarrenspiel ist korrekt, aber sein Gesang dafür wirklich bemerkenswert. Zum einen bringt er das dylansche Genäsel authentisch rüber, vermeidet dabei aber jeden Anschein mühsamen Kopierens. Vielmehr schafft er seinen ganz persönlichen, ausdrucksvollen Dylansound, dem man profunde Werkkenntnisse sofort anhört: Das knackt.

Die Band, vibrierend vor Spiellust, liefert auch in kleineren Besetzungen nur mit Klavier und Gitarre höchst kundige und werkgetreue Interpretationen, an deren Sensibilität wirklich nichts auszusetzen ist. Das ist einfach sehr gute Musik, und wenn man sich an Lugerths authentisches Genäsel (Dylan klingt ja einfach gräulich) erstmal gewöhnt hat, hat man immer mehr das Gefühl, man höre Dylan zu - oder vielmehr einer kompetenten Interpretation. Da stimmt dann alles. In den zahlreichen knackigen Rocktiteln (als Zugabe nochmal ein sauber gedröhntes "All Along The Watchtower") steigt die Körperspannung auf Höchstwerte, und bei den leiseren Titeln erkennt man umgehend, dass Christian Lugerth einer der wenigen Richtigen ist, um Dylansongs zu singen - zumal mit dieser prachtvollen Band. Der Saalsound war von erfreulicher Ausgeglichenheit. Am Ende: mordsmäßiger, lange anhaltender Applaus, reichlich Zugaben. Nächster Auftritt am Freitag, 18. November, bei Vitos."

(Heiner Schultz / Gießener Anzeiger)

 

"Ohne Zugabe kamen sie nicht von der Bühne. Die Jungs von "Lahn-Dylan-Kreis" mussten zu ihrem Auftrittt am Samstagabend auf der taT Studiobühne in Gießen Nachschlag geben. Rund 60 Zuschauer forderten trampelnd und pfeifend "Mehr".

100 Minuten Bob Dylan bot die Band: Zu den mehr als 20 Stücken zählten "All along the Watchtower", "Million Miles" oder "Down in the Flood". Passend zur Vorweihnachtszeit trugen die Musiker zu Liedern wie "Christmas Blues" oder "Here comes Santa Claus" rote Weihnachtszipfelmützen vor einem Bühnenbild, das mit alten Teppichen, einem alten Sofa, einem zugemüllten Tisch sowie Bier- und Wasserkisten einen typischen Probenraum darstellte. Zu den normalen Songs hieß es allerdings "Zipfelmütze ab, Hut auf!"

Noch festlicher wurde es, als zu "Adeste Fidelis", nur mit Keyboard und Gesang, die übrigen Bandmitglieder selbst gebackene Plätzchen im Publikum verteilten. Doch die Stimmung setzte sich fort: Mit "ein Riesenspaß" kommentierte Bandleader, Regisseur und Schauspieler Christian Lugerth begeistert die Uraufführung einer Miles-Davis-Nummer, als Freejazz zum Thema "Xmas" gestaltet. Ein besonderes Bonbon mit heiterer Weihnachtsstimmung bildete zum Schluss Dylans Lieblingsweihnachtsgedicht "Twas the Night before Christmas", in einer Übersetzung von Erich Kästner.

Schon Tradition ist es zudem, während eines Gigs kürzlich verstorbene Musiker zu würdigen. So ehrte die Band dieses Mal den legendären AC/DC-Gitarrist Malcolm Young mit "Rock'n'Roll Damnation".

Die Band spielte in der Besetzung Christian Lugerth (Gesang, Gitarre und Mundharmonika), Florian Neuber (Leadgitarre), Philipp Lampert (Bass), Volker Seidler (Schlagzeug und Percussion) und Christian Keul (Keyboards und Ukulele).

Wer den Auftritt verpasst hat, bekommt an Weihnachten eine zweite Chance. Am Montag, 25. Dezember, tritt der Lahn-Dylan-Kreis um 20 Uhr erneut auf der taT-Studiobühne am Berliner Platz auf. Karten gibt es im Vorverkauf für 13 (ermäßigt 6) Euro.

Und auch beim Blick aufs nächste Jahr ist Lugerth guter Dinge. Denn das Terminbuch ist schon jetzt nicht mehr leer. Es gibt Anfragen aus Fulda, Göttingen und Freiburg berichtet der Musiker: "Damit erweitern wir unseren Radius." Geplant wird zudem gerade ein Abend in der Vitos-Kapelle mit Songs aus der "christlichen Phase" von Dylan (1979 bis 1981)"

(Markus Bender / Gießener Anzeiger)

GIFT

"Wie weiterleben? Wie damit umgehen? Wie es aushalten? Um einen geliebten Menschen zu trauern bedeutet immer: Eine soeben noch vertraute Welt ist zusammengebrochen, was war ist ab sofort und für alle Zeit unwiderruflich anders. Diese Situation bringt jede und jeden von uns aus dem Gleichgewicht. Aber was das konkret mit uns macht, das ist so unterschiedlich wie wir verschieden sind. Trauer ist individuell. Dennoch: Gibt es Muster? Trauern Frauen grundsätzlich anders als Männer? Ist es so, dass Frauen länger trauern, intensiver, verzweifelter, dass es ihnen schwerer fällt als Männern, in ein neues Leben zu starten, das man sich nicht ausgesucht hat, aber das darauf wartet, gelebt zu werden?

Bei Lot Vekemans Bühnendrama ist das genau so. Der Sohn eines Paares ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Zehn Jahre ist das her. Die Ehe zerbrach bald nach dem Verlust. In Vekemans’ mit dem niederländischen Theaterpreis auszeichneten Stück "Gift", das Christian Lugerth jetzt für die Kammerbühne im Wallgraben-Theater inszenierte, hält die Frau am Schmerz so lange fest, bis von ihrem Leben nur noch der Schmerz übrig ist. Der Mann hat es schließlich in ein anderes Leben geschafft: Er hat noch einmal geheiratet, er wird noch einmal Vater.

Zum ersten Mal seit der Trennung treffen die Frau (Regine Effinger) und der Mann (Hans Poeschl) wieder aufeinander. Der Mann hat den Brief dabei, der ihn in die Friedhofskapelle geführt hat. Darin steht, das Grundwasser des Friedhofs enthalte Gift, nun müssten 200 Tote umgebettet werden. Jacob, der Sohn, ist wohl darunter. Von der Friedhofsverwaltung lässt sich jedoch niemand blicken – der Mann und seine Ex-Frau sind allein an diesem Ort, "der sich gar nicht verändert hat", wie er sinnfrei bemerkt.

Was sich hingegen alles verändert hat – und was eben nicht, das verhandelt das Paar in den nächsten knapp zwei Stunden. Begleitet wird das von merkwürdigen Aktionen: Er rückt Stühle, sie putzt rasend den Boden, auf dem sie nur einen Tropfen Wasser verspritzt hat. Sie weist ihn körperlich zurück – dabei ist in Wahrheit sie es, die das Treffen arrangiert hat. Sehnt sie sich nach ihm?

Der Raum, den Regisseur Lugerth geschaffen hat, ist denkbar karg. Das Kreuz, das in der Friedhofskapelle über dem Eingang leuchtet, wird gleich von ihr ausgeschaltet: kein Trost von dieser Stelle. Die Stühle sind gestapelt, auf einem Tisch in der Ecke stehen Getränke. Die Seitenfenster sind mittels blauer Farbe abgedunkelt, ihre längliche Form erinnert an Sargdeckel. So unbehaust dieser Ort, der stets nur Trauernde beherbergt, nur Weinen hört, nie ein Lachen, so heimatlos erscheinen die beiden Figuren des Stücks.

Dennoch kommen sie einander näher. Nach Ausbrüchen folgt Einlenken. Das tröstliche an "Gift" sind die Dialoge. Das Paar redet miteinander, auch, wenn es zunächst Vorwürfe hagelt, wenn Wut, Verzweiflung, Unverständnis sich Bahn brechen – sie kämpfen mit Worten.

Als Zuschauer lässt sich nur erahnen, wie schwierig es ist, sich als Schauspieler einzulassen in solche existenziellen Situationen. Regine Effinger und Hans Poeschl meistern sie professionell. Die Verletztheit unter erstarrten Gesichtszügen zu verstecken gelingt Effinger eindrucksvoll, doch erst, als ihre Figur auf das Gegenüber zugehen kann, rührt das ans Herz. Poeschl hat es in seiner Rolle womöglich etwas leichter – sein Charakter ist durchlässiger, lebenszugewandter, was gut zu sehen ist. Beiden Schauspielern gelingt es, mit Pausen Zäsuren zu setzen. Ums Aushalten geht es schließlich beim Umgang mit dem Tod. Langer Schlussapplaus." 

(Badische Zeitung)

 

„Schauspieler, die erst einmal nicht auf die Bühne können und stattdessen ratlos von Außen durch blaue, mannshohe Fenster ins karge Betongrau einer Friedhofskapelle stieren – das ist schon mal ein starker, weil symbolträchtiger, aber auch mit leiser Komik durchsetzter Einstieg in die aktuelle Hausproduktion des Wallgraben Theaters (Regie: Christian Lugerth). „Gift. Eine Ehegeschichte“, so der Titel des 2009 mit dem niederländischen Theaterpreis ausgezeichneten Bühnendramas von Autorin Lot Vekemans, in dessen Mittelpunkt Trauer, Über- und Weiterleben steht. (…) Großartig, wie Regine Effinger und Hans Poeschl in den ersten Minuten ihrer Begegnung umeinander herum schleichen, sich beschnüffeln und argwöhnisch belauern, ihre Plätze im Raum und vor allem immer wieder Distanz und Nähe zueinander austarieren. Doch nicht lange und die Falle schnappt zu: schlecht verheilte Narben mit all ihren enttäuschten Erwartungen brechen auf, es hagelt Vorwürfe, Verletzungen und Verdächtigungen, man verdreht jedes Wort und legt es danach auf die Goldwaage, kurz – man hat sich nicht verziehen. Dazwischen vorsichtige Verständigungsversuche, die jedoch allesamt ins Leere laufen, auch wenn sie die alte, starke Verbindung langsam aber stetig nähren. – Es sind dichte, spannungsgeladene Dialoge mit vielen Leerstellen und hilflosen Pausen, die Effinger und Poeschl da sehr lebendig auf die Bühne bringen. (…) Das ist textstarker, psychologischer Realismus, wie er nur noch selten auf Bühnen zu erleben ist. Dass zwischen einem Stapel schwarzer Plastikstühle, Mülleimer und Kaffee-Ecke alles in Bewegung bleibt, ist dem souveränen Schauspiel zu verdanken.(…) – ein starkes Stück, stark gespielt.“

(kulturjoker freiburg)

RIO REISER - KÖNIG VON DEUTSCHLAND

"Ein bewegender Abend, voller Musik und Emotionen. Rio Reiser - König von Deutschland" heißt das neue Erfolgsstück am Stadttheater Gießen. Geradezu frenetisch der Applaus am Ende vor ausverkauftem Haus Samstagabend. Die Zuschauer jubeln den Akteuren zu: Den Hauptdarstellern Lukas Goldbach (Rio Reiser) und Roman Kurtz (Erzähler), der ambitionierten Hausband, den zwei Gastmusikern und vor allem dem musikalischen Leiter Sascha Bendiks und Regisseur Christian Lugerth. (...)

'Eine musikalische Biographie von Heiner Kondschak' ist im Programmheft zu lesen. Lugerth und Bendiks verbinden die einzelnen Songs und Szenen zur spannenden Rahmenhandlung. Herausgekommen sind knapp drei Stunden beste Theaterunterhaltung: Für die älteren Semester verbunden mit Erinnerungen an die Studien-, Demo- und WG-Zeiten. Für junge Zuschauer ein Lehrstück über die Geschichte der BRD in den 70ern und 80ern, die APO und ihre Erben, die Hausbesetzerszene, Anti-Atomkraft-Bewegung und die Gesellschaft nach dem Mauerfall.

Zu erleben sind in einem musikalisch grandiosen Schnelldurchlauf die Höhen und Tiefen von "Ton Steine Scherben", die 1986 trotz des Managements von Claudia Roth (köstlich: Rainer Hustedt) mit einem Schuldenberg von 200 000 Mark dastanden. Zuvor noch der Umzug von Berlin in die Landkommune. (...)

Bewegende Szenen, bewegende Lieder: Rio Reiser, der Kämpfer und Romantiker. Er ist einer der ersten Musiker, der sich in den 70er Jahren zu seinem Schwulsein bekennen. In der Inszenierung wird dieses mutige Bekenntnis besonders thematisiert mit der Schaffung des "Ewigen Geliebten", mal einfühlsam, mal flott gespielt von Pascal Thomas.

Doch das Leben des Sängers ist kräftezehrend: "Ich bin müde", schreit der Sänger und haut verzweifelt auf die Tasten seines Klaviers. Das kann unter die Haut gehen. Im August 1996 stirbt Reiser, und das Publikum bekommt nun auf ganz besondere Weise sein poetisches "Junimond" zu hören. Finito, das Publikum tobt, als Zugabe spielen die Musiker "Halt dich an deiner Liebe fest" und verlassen einer nach dem anderen die Bühne Richtung Zuschauerreihen, bis nur noch Anne-Elise Minetti mit ihrem Akkordeon im Rampenlicht steht. Dann geht auch sie."
(Gießener Anzeiger)

"Rockoper, musikalische Biografie, Musical: »Rio Reiser – König von Deutschland« ist ein bisschen von allem. Die umjubelte Premiere im Stadttheater Gießen zeigte aber auch, was es außerdem ist: der Höhepunkt der laufenden Spielzeit. Unbedingt ansehen!

Mit seiner Band »Ton Steine Scherben« war er das Sprachrohr der Linken. Er galt als Ikone der Hausbesetzerszene, war Aushängeschild der Grünen in ihren alternativen Anfangsjahren und wurde als Verräter gebrandmarkt, als er mit »König von Deutschland« in den Hit-Paraden auftauchte und endlich Geld verdiente: Rio Reiser. Den Lebensweg des Sängers zeichnet die gleichnamige musikalische Biografie von Heiner Kondschak nach, die Christian Lugerth mit großem Geschick und sinnvollen Ergänzungen am Stadttheater inszeniert. Ein Stück deutsche Geschichte: faszinierend, trotz der fast drei Stunden Aufführungsdauer keine Sekunde ermüdend und mit einem sich die Seele aus dem Leib singenden und spielenden Hauptdarsteller Lucas Goldbach.

Am Samstag war umjubelte Premiere und schon der Blick ins Publikum machte klar, dass hier der Nerv einer Generation getroffen wird. Im ausverkauften Haus saßen auffallend viele Menschen, die in den Siebzigern mit dem Agit-Rock der »Scherben« im Ohr auf die Straße gegangen sind. »Macht kaputt, was euch kaputt macht«, der »Rauch-Haus-Song« oder »Keine Macht für niemand« waren Hymnen ihrer Zeit. Lugerth serviert sie in authentischer Rockkonzertatmosphäre (Bühne: Udo Herbster) und mit einem dem Programmheft beiliegenden Textbuch. Dabei kann er auf einen Glücksfall bauen. Im Schauspielensemble gibt es talentierte Sänger und Instrumentalisten: Rainer Hustedt am Saxofon, Milan Pešl (alias R.P.S. Lanrue) und Mirjam Sommer an den Gitarren sowie Anne-Elise Minetti am Akkordeon werden Teil der »Scherben«. Deren Grundgerüst bilden die Profimusiker Sascha Bendiks alias Jörg Schlotterer (musikalische Leitung und Arrangements), Sven Demandt als wechselnde Schlagzeuger und Christian Keul als »Scherben«-Musiker Kai Sichtermann. Alle spielen live und machen aus jedem Reiser-Song ihr eigenes Ding. (...) Regisseur Lugerth erzählt Reisers Leben, indem er mehr als 20 seiner Songs mit Impressionen aus der deutschen Geschichte verwebt. Roman Kurtz gibt den smarten Zeitreiseleiter. Wenn im Bühnenhintergrund Aufnahmen von Demonstranten im Berlin der Siebzigerjahre zu sehen sind, dann sind der Deutsche Herbst, die RAF und die Hausbesetzerszene präsent. Auch ein Riesenjoint darf nicht fehlen – eine der vielen Rauchwaren, die an diesem Abend die Luft erfüllen. Selbst die frische Landluft beim Umzug der »Scherben« ins Kuhkaff Friesenhagen, wo sie sich als Ökotopisten versuchen, ist rauchgeschwängert. Und auch die Achtziger – also Reisers Solozeit, die in Kondschaks Original noch eher stiefmütterlich behandelt wird – kommen in Lugerths Version ausreichend zum Tragen: mit Mirjam Sommer als Marianne Rosenberg, Anne-Elise Minetti als Nina Hagen und (ein Brüller!) Rainer Hustedt als »Scherben«-Managerin und heutige Grünen-Frontfrau Claudia Roth.

Kurz vor elf Uhr ist es, als die »Scherben« nach frenetischem Beifall und der Zugabe »Halt dich an deiner Liebe fest« das Haus verlassen. Ein sensationeller Theaterabend geht damit zu Ende."
(Gießener Allgemeine)

"(...) Eine ideenreiche, einfühlsame Inszenierung, in der genau auf Tempo und Lautstärke geachtet wird. Ganz leise fängt es an: Der Erzähler  steht vor dem Vorhang und liest aus Reisers Autobiografie das Kapitel über die Geburt des Sängers in Berlin. "Ich hab nicht geschrien. Ich war ein gutes Kind." Das sollte sich schlagartig ändern. Der Vorhang geht auf: "Macht kaputt, was euch kaputt macht", brüllt Rio Reiser, Frontmann der ersten deutschen Rockband "Ton Steine Scherben" ins Mikrofon. Mit dem Schauspieler Lukas Goldbach ist eine nahezu ideale Besetzung des legendären "Königs von Deutschland" gefunden. (...)"
(Wetzlarer Neue Zeitung)

 

"Die musikalische Biographie über Rio Reiser, geschrieben und inszeniert von Heiner Kondschak, war 2004 ein großer Erfolg in Tübingen. Nun zeigt das Stadttheater Gießen eine mitreißende Version in der Regie von Christian Lugerth, der selbst Schauspieler und Musiker ist. Er holte drei Profimusiker für den rockigen Sound auf der Bühne, die das musikalisch bestens aufgestellte Schauspielteam gut ergänzen. Sascha Bendiks ist nicht nur musikalischer Leiter, im Stück agiert er als Jörg Schlotterer ( E - Gitarre, E - Piano). Christian Keul mimt den Bassisten Kai Sichtermann und Sven Demandt die wechselnden Schlagzeuger der legendären Agit-Rock-Band 'Ton Steine Scherben'. Die Bühne bleibt über fast drei Stunden im Zustand eines permanenten Rockkonzerts. (...) Ein Erzähler (Roman Kurtz) verweist auf die gesellschaftlichen Bezüge, schließlich spielt das Ganze in der Zeit von Hausbesetzungen und extensivem Haschischkonsum, der Anti-AKW-Bewegung, diversen K-Gruppen und den ersten Toten der RAF bis zum Rückzug der Städter aufs Land und die Gründung der Grünen-Partei. Der emontionale Rückblick mag im Publikum so manchem, der die Zeit miterlebte, Gänsehaut verursachen.(...)"

(frizz - magazin für mittelhessen)

 

"Wow! Viel Mut gehört dazu, dem an klassische Musicals gewöhnten Publikum eine neue Form der musikalischen Unterhaltung anzubieten. Nach 'Cabaret' und 'Kuß der Spinnenfrau' mit 'Rio Reiser' ein Genre zu wählen, das sich nicht zwischen Musical und Rockkonzert entscheiden kann, ist aufregend genug. Kaum Tanzszenen, keine süffigen Liebesmomente und doch Melodien, die auf dem Nachhauseweg nach drei Stunden noch nachklingen. (...) Gießens Regisseur Christian Lugerth gelingt es mitreißend, 20 Songnummern mit anekdotischen Szenen und griffigen Dialogen zu verbinden. (...) Es ist überraschend und bewundernswert wie die Schauspieler des Gießener Stadttheaters zu Rockmusikern mutieren. (...) Musikalischer Leiter Sascha Bendiks ist integraler Bestandteil des Konzerts und führt das Ensemble von Höhepunkt zu Höhepunkt. (...)"

(musicals)

 

"(...) Das Licht geht aus. Stille. Der Erzähler führt mit einem Kassettenabspielgerät in das Leben von Rio Reiser ein und zitiert aus dessen Erinnerungen. Aus dem Recorder klingt leise "Der Junge am Fluss". Lukas Goldbach als Rio Reiser tritt auf und erzählt von seiner Geburt: "Ich war ein braves Kind. Ich habe nicht geschrien." Dann gibt der eiserne Theatervorhang den Blick auf die Bühne frei: Zu sehen ist ein mehrstufiger Aufbau für eine Band. Die legt los. Es wird laut. "Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist die erste Parole des Abends. Viele weitere folgen.
10 Personen umfasst das Ensemble inklusive Band. Auch die Musiker haben Rollen im Ensemble. Die Schauspieler spielen dafür auch Instrumente. Allen macht das sichtlich Spaß. Musikalisch wechselt dieser Abend zwischen satten Rockklängen in zumutbarer Lautstärke und akustisch angelegten zurückgenommenen Momenten, die teilweise ganz ohne Mikrofon und Verstärkung auskommen. Sascha Bendiks als musikalischer Leiter (und zudem als Bandmitglied Jörg Schlotterer auf der Bühne) hat ganze Arbeit geleistet und sorgt für ungewöhnliche und sehr passende Arrangements.
Ein Höhepunkt kommt ganz zum Schluß: Instrumente wie Akkordeon und Kontrabass geben den Ton an für ein allerletztes Medley. Während der Cast gemeinsam "Halt dich an deiner Liebe fest" und "Übers Meer" interpretiert, verlassen die Darsteller nach und nach durch die Türen im Parkett den Saal. Ein letztes „Halt dich fest“ ist zart von draußen zu hören, dann herrscht totale Stille. Das Publikum weiß gar nicht, wohin mit seiner Begeisterung. Toll!
Die Bühne von Udo Herbster ist zweckmäßig. (...) Die Zweckmäßigkeit dient dem Konzept: Der Abend beleuchtet schlaglichtartig das Leben von Rio Reiser und zugleich die politischen Entwicklungen in der BRD.
In seiner Inszenierung kümmert sich Christian Lugerth vor allem um die Stimmungen und zwischenmenschlichen Beziehungen, die in der Gruppe um den Liedermacher herrschen. Reiser bleibt dabei immer im Zentrum des Geschehens. Lukas Goldbach gelingt eine eigenständige Personenzeichnung. Er kopiert Reiser nicht, sondern singt mutig und glaubwürdig seine Versionen der bekannten Hits.(...) Rio Reiser wird in Gießen ein hörenswertes Denkmal gesetzt. Gerade die leisen Töne klingen lange nach. "Halt mich fest“ singt und pfeift das Publikum weiter, wenn es den Theatersaal schließlich nach der letzten Zugabe verlässt.

(musicalzentrale / Text: Harry Weiß-Arzet)

 

hr2 Kultur

SZENEN EINER EHE

"Der Abstand könnte weiter nicht sein, wie sie sich da in ihre Ecken drücken, die Rücken einander zugewandt, dem eigenen Spiegelbild näher als der Person am anderen Ende der Bühne: Es ist was faul in der Beziehung von Marianne und Johan, daran lässt Christian Lugerth in seiner Inszenierung von Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe am Komödianten-Theater von der ersten Minute an keinen Zweifel. Sie grübelt, wie sich das unumstößliche sonntägliche Mittagessen bei den Eltern absagen ließe; er fummelt am Handy. Und die Sätze, die so scheinbar unbefangen durch den Raum fliegen, fühlen sich seltsam angestrengt an. (...) Alles ist Maskerade in den trocken sezierenden Dialogen, die wie in der Therapiesitzung scheinbar alles offenlegen und unvermittelt zum verbalen Sprengstoff geraten. Antje Otterson und Ivan Dentler sind womöglich ein bisschen zu jung für diese Ehe in der Midlife-Krise mit ihren abgeklärten Sätzen. Aber man kann das auch einfach vergessen, wenn die beiden mit ihren klasse Intellektuellenbrillen in langsam forschenden Sätzen einfach eine von diesen Allerweltspaargeschichten erkunden, in denen gerade das Banale zum zeitlosen Spiegel wird.
So gleiten sie durch radikale Stimmungswechsel, bügeln mit sanftkühlen Worten über Risse und Brüche hinweg, bleiben im stockenden Gespräch hängen und ringen um den Erhalt der eingeübten Konventionen. Sie ein sanft staunendes Wesen, das nach der Trennung zur Macherin mutiert. Er ein selbstgewisser Komm-zu-Papa-Typ, dem der Verlust mit Verzögerung unheimlich wird. (...) Zwischen sämtlichen Gefühlslagen lässt Regisseur Lugerth seine Akteure durch den leeren Raum (Bühne: Bruno Giurini) trudeln – aufeinander zu und voneinander weg, eine entfernte Nähe, die sich in den Paarfotos auf dem in farbiges Licht gerahmten Bildschirm festgebissen hat und im zweiten Teil in einer etwas fremd-schrägen Beischlafszene gipfelt. (...) Man spürt in dieser geradlinigen Inszenierung den Respekt, mit dem der Regisseur an das Stück des großen Schweden herangegangen ist. Und auch, wie die Zeit über manche Sätze und vor allem das manierlich-biedere Frauenbild hinweggegangen ist. Dabei hätte es ruhig ein bisschen weniger brav und dafür Woody-Allen-leichter zugehen können.
Beim Wiedersehen nach zwei Jahren hat Marianne von dezentem Grauschwarz ins rote Kleid gewechselt, neues Selbstbewusstsein und die Scheidungspapiere mitgebracht. Und im Geplänkel um die Frage „Unterschreiben oder nicht“ ist das Ehe-Dilemma wieder ganz und gar zeitlos."
(Kieler Nachrichten)

"„Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander“, wusste schon Loriot und nahm den ewigen Konflikt zwischen den Geschlechtern damit von seiner komischen Seite. Genauso gewinnt Christian Lugerths Inszenierung von Ingmar Bergmans Kammerspiel am Kieler Theater Die Komödianten den „Szenen einer Ehe“ manche komische Seite ab. Denn wenn Mann und Frau die zwei unvereinbaren Seiten der selben Medaille namens Mensch sind, ist auch die Tragödie die bessere Hälfte der Komödie.
Und noch ein anderer Vergleich drängt sich auf, wo Marianne und Johan ihre Ehe zu Grabe tragen, auf dem zum nicht hoffnungslosen Schluss dann doch etwas wie Liebe als zartes Mauerblümchen keimt. Das Sterben einer Ehe läuft in den gleichen Phasen ab wie das Sterben eines Menschen: vom Nicht-wahrhaben-Wollen über Wut, Verhandeln und Depression schließlich zur Akzeptanz. Genauer: zu der existenzialistischen Erkenntnis, dass jeder Mensch immer einsam war, ist und bleibt. Solche Deutung hat man Bergmans Film und auch der hier gespielten Theaterfassung für zwei Personen zutreffend untergeschoben. Lugerths Inszenierung folgt ihr darin konventionell, aber was soll man machen, es ist halt eine der Tragödien des Menschseins und Menschenwehs.
(...) Das Paar, das Antje Otterson und Ivan Dentler geben, ist verwechsel- und austauschbar, denn sie zeigen die „Szenen einer Ehe“, wie sie voller Weh wenn nicht immer gleich, so doch sehr ähnlich ablaufen. Für die in solchen Liebesdingen nicht unerfahrenen Zuschauer ist das anti-illusionistisch bis desillusionierend, sie leiden nicht, sondern erkennen mit. Dass das umso quälender ist als ein Theater-Affekt wie Mitleid, scheint beabsichtigt – und bildet die Stärke der bewusst gefühlsarmen Inszenierung, die sich darin eng an Bergmans filmische Umsetzung hält, obwohl Lugerth letztere nach eigener Auskunft (vgl. unseren Probenbericht) nur teilweise rezipiert hat.
(...) ...symbolhafte Zeichen genügen wie schon in der Eingangsszene. Da halten Marianne und Johan noch Händchen vor dem Altar ihrer gemeinsamen Erinnerungen. Aber bereits in einem so großen körperlichen Abstand zueinander, dass sie schon in der ehemals Vereinigung getrennt erscheinen. Ein starkes Bild für den Prolog. In ihren folgenden Wortgefechten sitzen sie an den jeweils äußersten Bühnenrändern, und wir folgen dem einen Wort, welches das andere gibt, wie beim Tennis. Sogar der doch nochmal vollzogene Beischlaf ist treffend rein mechanisch gespielt. Und dadurch komisch – die zweite Stärke der Inszenierung. Immer wieder gibt es Momente, in denen das Ballett des Stühlerückens an Tisch und Bett und also zwischen Nähe und Distanz zum Slapstick gerät. Auch den Gewaltausbruch gegen Ende mimen Otterson und Dentler im schemenhaften Halbdunkel als comic-hafte Ehe-Gymnastik, bei der man die „Blams!“ und „Zacks!“ mitimaginiert. Anders gesagt: die Komik wird hier eigentümlich tragisch statt umgekehrt.
Solches Spiel leuchtet ein, bricht es doch das große Liebes(weh)ding auf seine erbarmungswürdige Erbärmlichkeit herunter, deren (komische) Schau solche wiederum erträglich macht. Denn wer herzlich lacht, muss nicht bitterlich weinen über die an sich Lächerlichkeit, an der wir uns wie Marianne und Johan immer und immer wieder abarbeiten. Nicht minder zeichenhaft flammen – bezeichnenderweise in „Falschfarben“ – die Fotos von (vermeintlich) besseren Tagen dieser scheiternden Ehe auf der Projektionsfläche (sic!) in der Mitte der von Bruno M. A. Giurini gestalteten Bühne auf. An der „Leerstelle“, wo sich die beiden nur noch selten aufhalten, meist agieren sie an den Rändern.
Gleichwohl – und das ist das abschließende Wunder dieser Inszenierung: Am Ende all solcher subkutanen, bewusst nicht ausgespielten Szenen, wenn das Scheitern komplett ist, steht das Paar sich vorsichtig umarmend wie in einem filmischen „Still“ da. Die ewige Schleife zwischen Annäherung und Trennung ist durchbrochen. Und jetzt erst, nach all dem zwei-einsamen Weh kann wirkliche Liebe sein."
(hansen und munk / kulturblog für Kiel)

"(...) Man durf­te ge­spannt sein, ob die eher kla­mau­kig-ko­mi­schen As­pek­te, die die immer glei­chen und ein­ge­fah­re­nen Aus­ein­an­der­set­zungen ab­ge­stan­de­ner Be­zie­hun­gen zwei­fel­los mit sich brin­gen, über­wie­gen wür­den oder ob und wie weit sich die In­sze­nie­rung an die ge­gen­sei­ti­gen Er­nied­ri­gun­gen, an den Haß und den Ekel, an jene eben wegen ihrer Klar­heit von Berg­mann selbst durch­aus in­ten­dier­te "äs­the­ti­sche Übel­keit" her­an­wa­gen würde, an die fast grau­sa­me Scho­nungs­lo­sig­keit einer Of­fen­le­gung von Schei­tern und Un­mög­lich­keit als Vor­aus­set­zung eines Nach­den­kens über an­de­re, neue For­men einer Be­geg­nung frei­er In­di­vi­du­en, ohne un­be­ding­te For­de­run­gen an­ein­an­der, die spre­chen könn­ten, ohne sich weh zu tun, ohne den Zwang, über den an­de­ren zu herr­schen oder auf ihn an­ge­wie­sen zu sein.
Die Kie­ler In­sze­nie­rung er­wies sich bei der Pre­mie­re am 14. Ja­nu­ar 2016 vor aus­ver­kauf­tem Haus - als keins von bei­dem. In einer aus­ge­spro­chen sorg­fäl­ti­gen und stim­mi­gen Kom­po­si­ti­on von Dia­lo­gen und Büh­nen­bild (Bruno Gi­ur­i­ni) zeich­ne­te der Re­gis­seur glaub­haft und ohne schril­le Über­tö­ne mit spar­samst wie wir­kungs­voll ge­setz­ten Sze­nen­wech­seln - mal durch das Um­räu­men eines Stuh­les, mal durch das Auf­span­nen eines Re­gen­schir­mes, mal durch den Wech­sel der Bild­vor­la­gen an der Wand - die es­ka­lie­ren­de Ent­wick­lung von Ma­ri­an­ne und Johan nach, deren Kon­flikt­la­ge be­reits in den an­fäng­li­chen, schein­bar harm­lo­sen Dia­lo­gen aufscheint - so wie im wah­ren Leben. Wie­viel Dis­tanz in einem All­tag, in dem alles ver­plant ist, wenn Ma­ri­an­ne sagt, sie strit­ten nie und wenn, fän­den sie immer einen trag­fä­hi­gen Kom­pro­miß, wie­viel Ab­fäl­lig­keit in Jo­hans schein­bar zu­ge­wand­tem "Mein Lieb­ling". Ge­ni­al ge­spielt der Wan­del von Antje Ot­ter­son alias Ma­ri­an­ne von der bra­ven, an­ge­paß­ten Ehe­frau, die alles rich­tig ma­chen, aber für nichts ver­ant­wort­lich sein will, zu einer selbst­be­wuss­ten ei­gen­stän­di­gen Per­sön­lich­keit. (...)
Dabei ist die Ent­wick­lung zu mehr Of­fen­heit und Scho­nungs­lo­sig­keit bei­der Ak­teu­re - als ein schein­ba­rer Fort­schritt - eben­so vi­ru­lent wie quä­lend immer auch die ewige Rück­kehr in das Alt­ge­wohn­te, in das Ent­we­der-und-auch.
Am Ende weiß der auf­merk­sa­me Zu­schau­er, daß die nach der Tren­nung vor­ge­stell­te Har­mo­nie der end­lich Ge­schie­de­nen trotz Ma­ri­an­nes ver­all­ge­mei­ner­ba­rem Wunsch "Ohne jede Hoff­nung - das geht doch nicht!" eben­falls von kur­zer Dauer sein wird. Nicht nur der mi­nu­ten­lan­ge Schluß­ap­plaus des Pre­mie­ren­pu­bli­kums be­wies, daß "Sze­nen einer Ehe" eine un­be­ding­te Be­rei­che­rung im Spiel­plan der Ko­mö­di­an­ten ist."
(Schattenblick - Pool für Theater und Tanz)